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Es wird der Tag kommen, an dem die mystische Entstehung Jesu im Leib einer Jungfrau und mit dem höchsten Wesen als Vater in die gleiche Kategorie eingeordnet wird wie die Fabel von der Geburt der Minerva aus dem Kopf Jupiters.

Der Staatstheoretiker und
3. Präsident der USA
Thomas Jefferson (1743-1826)
(gefunden bei Heinz-Werner Kubitza)

Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, dass ich sie von keinem als allenfalls von ihm selbst hören möchte.
  (Brief an Charlotte v. Stein, 6.4.1782)

Das Märchen von Christus ist Ursache, dass die Welt noch 10000 Jahre stehen kann und niemand recht zu Verstande kommt, weil es ebensoviel Kraft des Wissens, des Verstandes, des Begriffes braucht, um es zu verteidigen, als es zu bestreiten.
           (Brief an Herder vom 4.9.1788)

Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)

Wie dürfen wir hoffen, auch nur mit annähernder Sicherheit herauszubekommen, was Jesus gemeint hat, wenn wir nicht einmal mit einiger Sicherheit wissen, was er tatsächlich gesagt hat?

Der engl.-jüd. Gelehrte
Claude G. Montefiore (1858-1938)
(gefunden bei Karlheinz Deschner)

Eine ferne Zukunft – wenn es dann noch Menschen geben sollte – wird auf die Glaubensannahme eines neuen, ewigen Lebens einmal so zurückblicken wie wir heute auf den Animismus.

Der Philosoph und Theologe
Helmut Groos (1900-1996)

Die Kirche lebt davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind.

Wenn wir ein Lebensbild Jesu nachzeichnen wollen, dann bleibt uns nur wenig Stoff. Ob wir das bedauern, ist bedeutungslos. Wir haben das Ergebnis der philologischen Textanalyse ohne Rücksicht auf Gefühle und Wünsche festzustellen.

Der Theologe Hans Conzelmann
(1915-1989)

Jesus ist also, was sein konkretes Leben betrifft, der große Unbekannte des Christentums.

Die kath. Theologin
Uta Ranke-Heinemann (*1927)

Es wird immer schwerer einsehbar, wie die Religion eines jüdischen Eschatologen aus dem 1. Jahrhundert noch lange relevant sein kann. Vielleicht ist sie schon wie ein ferner Stern, dessen Licht wir sehen, nachdem er längst erloschen ist.
(S. 593)

Der brit. Autor und kath. Theologe
Peter de Rosa (*1932)
(Der Jesus-Mythos)

 

 
 

Jesus


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Inhalt

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Vorbemerkungen

JesusJesus Christus Christus: Drei Namen, die von den meisten Christen synonym, je nach eigenem Geschmack, für ihren (vermeintlichen) Religionsstifter benutzt werden. Eine etwas genauere Betrachtung führt allerdings zu einer deutlichen Unterscheidung. Der ursprüngliche jüdische Name Jesus bezeichnet den "historischen Jesus", d. h. einen Menschen, der – wahrscheinlich – vor rund 2000 Jahren im spätantiken Palästina geboren wurde und dort im Alter von ungefähr 30 Jahren einem politischen Mord zum Opfer fiel. Jesus Christus und Christus sind die Bezeichnungen für eine "mythische Person" (Martin Dibelius) bzw. für den neuen "christlichen Gott", also für eine von den frühen Christen geformte "Kunstfigur" (Hubertus Halbfas) antik-hellenistischen Zuschnitts.

Der Umfang der über den Menschen Jesus verfügbaren historischen Fakten ist außerordentlich dürftig. Daher lässt sich m. E. mit Fug und Recht sagen: Jesus ist "der große Unbekannte des Christentums" (Uta Ranke-Heinemann). Andererseits kann kaum bezweifelt werden, dass in den überlieferten, zwar weitgehend der Fantasie der frühen Christen entsprungenen, mythischen Texten dennoch hier und da "die Spur eines wirklichen Menschen" (Peter de Rosa) zu finden oder zumindest zu erahnen ist.

Unter den mir bisher ansatzweise bekannten Umständen ist es unvermeidlich, dass die "Kunstfigur" Christus in den folgenden Abschnitten die Hauptrolle spielen wird.

Wie unter den anderen Menüpunkten dieser Website, wird auch hier nur eine begrenzte Zahl von subjektiv ausgewählten Teilaspekten beleuchtet. Neben historischen und exegetischen Fragen wird die eine oder andere, mir als irrational erscheinende, theologische Glaubensmeinung über die "Kunstfigur" Christus angesprochen.

Die subjektiv getroffene Auswahl führt zwangsläufig dazu, dass ich im Folgenden auf einige, mir besonders widersinnig erscheinende, christliche Glaubensinhalte mit übernatürlichem Charakter, wie "Jungfrauengeburt", "Auferstehung", "Himmelfahrt", "Menschwerdung Gottes in Christus" (lat. Inkarnation) und andere nicht näher eingehen werde. M. E. brächte ihre kritische Analyse auch keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Zwei christliche Glaubensvorstellungen, zwar ebenfalls von mythischen und übernatürlichen Elementen durchsetzt, werden wegen ihrer zentralen Bedeutung für die christliche Religion im Folgenden dennoch etwas eingehender betrachtet: Die "Nah-Erwartung des Reiches Gottes" bzw. die Erwartung des (wieder-)kommenden «Herrn» und die "Heilsbedeutung" des "Sühnetodes Christi".

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Die Frage nach der Geschichtlichkeit Jesu – hat Jesus gelebt?

Es hat wohl während der ganzen Geschichte des Christentums immer einzelne eigenständig denkende Menschen gegeben, die daran zweifelten, dass die Texte des Neuen Testaments, insbesondere die vier Evangelien, historisch verlässliche Fakten enthielten. Seit der Frühaufklärung, um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, wuchs die Zahl der "aufgeklärten" Menschen, die sich kritisch äußerten. Es ist kaum überraschend, dass im Zuge dieser Kritik auch die Geschichtlichkeit Jesu, der Hauptperson dieser Schriften, in Zweifel gezogen wurde.

Es traten dann im 19. Jahrhundert und bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts namhafte Theologen und Gelehrte in Deutschland und Frankreich sowie in anderen Ländern Europas auf, die ihre begründeten Zweifel vortrugen oder die Geschichtlichkeit Jesu sogar radikal leugneten. Wer sich hierüber detaillierter informieren möchte, sei auf die ersten Seiten der "Kritischen Kirchengeschichte" des literatur- und kirchenkritischen Schriftstellers Karlheinz Deschner (1924-2014) oder auf entsprechende Abschnitte der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung von Albert Schweitzer (1875-1965) verwiesen.

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Gründe für die Zweifel an der Geschichtlichkeit Jesu

Die Gründe für die Zweifel an der historischen Existenz Jesu ergaben sich u. a. aus der Tatsache, dass Paulus, der Verfasser der ältesten Schriften im Neuen Testament, kaum etwas Nennenswertes über das Leben Jesu berichtet. Entweder gab es nichts Konkretes darüber zu berichten oder es hat ihn nicht interessiert.

Was die Zweifel aber wohl noch eher förderte, war der Umstand, dass es, über die neutestamentlichen Schriften hinaus, keine beweiskräftigen Zeugnisse zeitgenössischer Historiker gab. Besonders erstaunlich ist dabei, dass sich nicht nur bei den römischen, sondern insbesondere auch bei den jüdischen Historikern nichts über Jesus findet. Die Schriften des bekannten jüdischen Historikers Flavius Josephus (37/38-nach 100), der Johannes den Täufer, Pilatus und Herodes erwähnt, enthalten zwar auch eine Passage über Jesus, in der seine Wundertaten und seine Auferstehung bezeugt sind. Diese wurde jedoch längst als christliche Fälschung entlarvt. Wahrscheinlich ist sie erst im 3. Jahrhundert eingefügt worden.

Karlheinz Deschner zieht folgendes Fazit:

"Es spricht also manches dafür, dass Jesu Wirkung auf seine Umgebung geringer war als wir glauben. […]

Schon den antiken Christen erschien Jesu historische Bezeugung derart dürftig, dass sie ein Schreiben von ihm an den König Abgar Ukhama von Edessa (4 v.- 50 n. Chr.), einen Brief des Pilatus an Kaiser Tiberius und andere ähnliche Produktionen fälschten."

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Christliche Theologie interessiert sich nicht für den historischen Jesus

Bei keinem der Verfasser der im NT gesammelten Schriften lässt sich ein Interesse an historisch korrekten Informationen über den Menschen Jesus erkennen. Berücksichtigt man entsprechende Tendenzen in der damaligen Gesellschaft, so erscheint es als nicht sonderlich ungewöhnlich, dass sich die unterschiedlichen Schreiber stattdessen einem Mythos, dem Mythos vom Gottmenschen Christus, verschrieben.

Die Transformation des Menschen Jesus zur Kunstfigur Christus beginnt bei Paulus. Sie setzt sich fort über die drei synoptischen Evangelien und erreicht ihren Höhepunkt im Johannesevangelium, in dem Christus schließlich gleichgesetzt wird mit dem präexistenten »Logos« (s. auch hier). Dieser Prozess der Vergottung des Menschen Jesu war eine Folge der Konkurrenz zwischen den diversen antik-hellenistischen Religionen bzw. Mysterienkulten, in denen die Auffassung vorherrschte, dass nur «Götter» den Menschen die »Erlösung« bzw. das »Heil« bringen konnten. Das frühe Christentum war nichts anderes als ein Mysterienkult unter anderen.

Die Vertreter der jeweils tonangebenden Theologie haben über alle Zeiten hinweg bis in unsere Tage Zweifel an der Geschichtlichkeit Jesu nie zugelassen. Sie haben sich für den Menschen Jesus dennoch nicht interessiert. Ein Theologe aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sei hier exemplarisch angeführt, mit dessen Glaubensmeinungen sich m. E. viele Theologen von heute, ohne jede geistige Verrenkung, noch immer identifizieren könnten. Es ist der Theologe Martin Kähler (1835-1912). Er hielt 1892 einen Vortrag mit dem Titel Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus. Darin sagt er:

"Der sogenannte historische Jesus ist für die Wissenschaft nach dem Maßstabe moderner Biografie ein unlösbares Problem; denn die vorhandenen Quellen reichen nicht aus und die ersetzende Kunst ist diesem Problem nicht gewachsen."

Er gibt an anderer Stelle mehr als deutlich zu erkennen, dass sich für ihn persönlich daraus jedoch kein Problem ergibt. Er bekennt:

"Ich sehe diese ganze »Leben-Jesu-Bewegung« für einen Holzweg an."

Kähler stellt dann seine Überzeugung bzw. seinen Glauben in typischer, ganz und gar unkritischer, Denkungsart und Sprache der Theologie dagegen:

"Der geschichtliche Christus ist der geglaubte und gepredigte Christus, das Fleisch gewordene Wort."

Und er setzt noch eins drauf:

"Der biblische und also auch der geschichtliche Christus ist der offenbare Gott in seiner erlösenden Handlung."

Die Fantasie Kählers war damit durchaus noch nicht erschöpft. Ihren "Gipfel" erklomm sie dann mit der Feststellung:

"Christus als die Selbstoffenbarung Gottes ist nie zu trennen von der Geschichte, deren Gipfel er ist."

Das ist natürlich eine typische Glaubensmeinung aus dem theologischen Denk-Getto, aus einer Sphäre also, in der weder "gerader Menschenverstand" (Franz Overbeck) noch intellektuelle Redlichkeit eine wesentliche Rolle spielen. Und ein Maßstab, wie er sich z. B. in einem Wort des niederländischen Kulturhistorikers Johan Huizinga (1872-1945) findet, lässt sich schon gar nicht anlegen:

"Geschichte ist die geistige Form, in der sich Kultur über ihre Vergangenheit Rechenschaft gibt."

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Nicht Jesus, sondern Christus – die Hierarchie setzt auf den Placeboeffekt
Erich Fromm (1900-1980) reflektierte in seinem Essay Das Christusdogma sozialpsychologische Aspekte der Entwicklung des frühen Christentums. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf der Rolle, die Jesus bzw. Christus dabei spielte, bzw. auf der Rolle, die dieser zentralen Gestalt von den führenden Köpfen der neuen Religion zugewiesen wurde. Fromm machte deutlich, dass der Gallionsfigur des Christentums im Rahmen der Überlieferung eine entscheidende Wandlung widerfuhr: "Aus dem zum Gott gewordenen Menschen wird der Mensch gewordene Gott." Parallel dazu verlief eine ebenso bedeutende Wandlung der Religion in enger Wechselbeziehung mit der Gesellschaft: Aus der Religion "der untersten unterdrückten Schichten" wurde eine Religion "der Führer und Geführten zugleich" und zwar "unter der Führung der herrschenden Klasse" (mehr s. hier).

Für die beiden, sich gegenseitig bedingenden, Wandlungen war die hier diskutierte Frage nach der Geschichtlichkeit Jesu ohne Belang. Erich Fromm bestätigt dies vom Standpunkt der Sozialpsychologie lapidar (s. Fußnote auf S. 37):

"Das Problem der Historizität Jesu braucht uns in diesem Zusammenhang nicht zu beschäftigen. Selbst wenn die urchristliche Verkündigung das Werk einer einzelnen Persönlichkeit gewesen wäre, so ist die Tatsache ihrer gesellschaftlichen Wirkung nur aus der Klasse, an die diese Verkündigung gerichtet war und von der sie aufgenommen wurde, zu verstehen, und nur das Verständnis von deren psychischer Situation ist für uns hier wichtig. Es ist dabei gleichgültig, ob sie sich eine reale Persönlichkeit, die ihren Wünschen entspricht, zum Führer wählt, oder das Bild eines Führers, wie sie ihn sich wünscht, fantasiert."

Am Beispiel des Christentums stellt Fromm also fest, dass es für die jeweiligen Gläubigen einer Religion gleichgültig ist, ob der Gegenstand ihres Glaubens eine reale Persönlichkeit oder ein entsprechendes, nur in ihrer Fantasie existierendes, Bild ist. Die Wirkung auf die "psychische Situation" der Gläubigen ist dieselbe. Nach dieser Erkenntnis kann ebenso lapidar gesagt werden: In der Medizin bezeichnet man das analoge Phänomen schlicht als Placeboeffekt.

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Albert Schweitzer stellt eine "religionsphilosophische Frage"

Ein namhafter Theologe, dem "intellektuelle Redlichkeit", zumindest in seinen wissenschaftlichen Studien, m. E. nicht abgesprochen werden kann, war Albert Schweitzer (1875-1965). Dies ist in seiner 1906 erschienenen umfangreichen Geschichte der Leben-Jesu-Forschung spürbar. Er äußert darin erstaunliche Gedanken und bürstet dabei gegen den gewohnten theologischen "Strich". Im Abschnitt, in dem er sich mit den radikalen Leugnern, u. a. mit dem Philosophen Arthur Drews (1865-1935), und mit den theologischen Verteidigern der Geschichtlichkeit Jesu befasst, kann man Folgendes lesen (s. S. 512/513):

"Darum geht etwas wie ein Misston durch all dieses zuversichtliche Widerlegen hindurch. Es wirkt niederdrückend, dass die Theologie ihre geschichtliche Behauptung auf Leben und Tod verteidigen muss, weil davon ihre Religion abhängt.

Dazu kommt, dass vom Standpunkt des strengen wissenschaftlichen Denkens aus sowohl die positive wie die negative Ansicht überhaupt nicht auf zwingende Art zu beweisen sind. Im letzten Grunde bleibt jede geschichtliche Behauptung, die sich auf vergangene, von uns nicht mehr direkt nachzuprüfende Zeugnisse stützen muss, eine Hypothese. […]

Darum ist die religionsphilosophische Frage viel wichtiger als alles geschichtliche Beweisen und Widerlegen. Das moderne Christentum muss von vornherein und immer mit der Möglichkeit einer eventuellen Preisgabe der Geschichtlichkeit Jesu rechnen. Es darf also seine Bedeutung nicht künstlich dahin steigern, dass es alle Erkenntnis auf ihn zurückführt und die Religion »christozentrisch« ausbaut. Der Herr kann immer nur ein Element der Religion sein; nie aber darf er als Fundament ausgegeben werden.

Anders ausgedrückt: Die Religion muss über eine Metaphysik, das heißt eine Grundanschauung über das Wesen und die Bedeutung des Seins, verfügen, die von Geschichte und überlieferten Erkenntnissen vollständig unabhängig ist und in jedem Augenblick und in jedem religiösen Subjekt neu geschaffen werden kann. Besitzt sie dieses Unmittelbare und Unverlierbare nicht, so ist sie Sklave der Geschichte und muss sich in knechtischem Geiste fortwährend gefährdet und bedroht sehen."

Im Kapitel 25 Schlussbetrachtung formuliert Schweitzer folgendes Fazit seiner umfangreichen Forschungen:

"Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches verkündete, das Himmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert. Er ist eine Gestalt, die vom Rationalismus entworfen, vom Liberalismus belebt und von der modernen Theologie in ein geschichtliches Gewand gekleidet wurde." (S. 620)

Anmerkungen
- Hervorhebung stammt vom Autor der Site.
- 'Er' am Beginn des zweiten Satzes ist eine Korrektur vom Autor der Site. Im Text der vorliegenden Ausgabe der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung steht, wohl versehentlich, 'Sie'.

Vorstellbar ist, dass Albert Schweitzer aus seinen Forschungen folgende, sich aus meiner Sicht geradezu aufdrängende, Schlussfolgerung hätte ziehen können: sich vom Christentum zu verabschieden. Tatsächlich hat er dies nicht getan. Das war ihm, den ich für einen der größten christlichen Humanisten in der europäischen Geschichte halte, das war dieser Ausnahmepersönlichkeit offenbar nicht möglich. Ich finde dies außerordentlich erstaunlich. Denn mit seiner vernichtenden Kritik entlarvte er die von Theologen entwickelte Vorstellung von der Zentralfigur christlichen Glaubens als pures Fantasieprodukt.
 

Er war offenbar nicht im Stande das theologische Denkgetto (s. hier) zu verlassen. Stattdessen baute er sich innerhalb dieses Denkgebäudes sein privates Refugium. Abweichend von seiner sonst eher klaren Denk- und Ausdrucksweise, beschreibt er die darin gewonnenen Einsichten eher "verschwurbelt":

"Im letzten Grunde ist unser Verhältnis zu Jesus mystischer Art. Keine Persönlichkeit der Vergangenheit kann durch geschichtliche Betrachtung oder durch Erwägungen über ihre autoritative Bedeutung lebendig in die Gegenwart hineingestellt werden. Eine Beziehung zu ihr gewinnen wir erst, wenn wir in der Erkenntnis eines gemeinsamen Wollens mit ihr zusammengeführt werden, eine Klärung, Bereicherung und Belebung unseres Willens in dem ihrigen erfahren und uns selbst in ihr wiederfinden. In diesem Sinne ist überhaupt jedes tiefere Verhältnis zwischen Menschen mystischer Art. Unsere Religion, insoweit sie sich als spezifisch christlich erweist, ist also nicht so sehr Jesuskult als Jesusmystik.

 

Nur so schafft Jesus auch Gemeinschaft unter uns. Er tut es nicht als Symbol oder irgendetwas Derartiges. Sofern wir untereinander und mit ihm eines Willens sind, das Reich Gottes über alles zu stellen, um diesem Glauben und Hoffen zu dienen, ist Gemeinschaft zwischen ihm und uns und den Menschen aller Geschlechter, die in demselben Gedanken lebten und leben. (S. 629) 

[…] 

Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer, die nicht wussten, wer er war, herantrat. Er sagt dasselbe Wort: Du aber folge mir nach! Und stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muss. Er gebietet. Und denjenigen, welche ihm gehorchen, Weisen und Unweisen, wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen, und als ein unaussprechliches Geheimnis werden sie erfahren, wer er ist …" (S. 630 / die letzten Zeilen der letzten Seite)

Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass der kritische Geist Albert Schweitzer den möglichen Schritt vom christlichen Humanisten zum säkularen Humanisten nicht ging. Er, der im Hauptteil seines Buches so rational verfuhr, verfing sich am Ende seiner Schlussbetrachtung im Netz irrationaler theologischer Fantasien …

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Annahme der Existenz des "historischen Jesu"

Wie aus den bisherigen Überlegungen deutlich wurde, ist die Geschichtlichkeit Jesu für die Glaubenspraxis des organisierten Christentums ohne jede Bedeutung. Dennoch halte ich es für sinnvoll und notwendig, eine Antwort auf die Frage nach der realen Existenz des Menschen Jesu zu suchen, zumal dann, wenn es der Anspruch an intellektuelle Redlichkeit unmöglich macht, einer Kunstfigur auch nur den geringsten Einfluss auf das eigene Bewusstsein zuzugestehen.

Da – bis auf weiteres – wohl keine der gegensätzlichen Positionen in der Lage sein wird, überzeugende Beweise vorzulegen, neige ich dem pragmatischen Ansatz zu, der Position mit der etwas größeren Wahrscheinlichkeit den Vorzug zu geben. Der Grad der angenommenen Wahrscheinlichkeit stützt sich insbesondere auf die Ergebnisse der Analyse von Jesus-Worten und -taten in den überlieferten Texten des NT. Theologen haben Prüfkriterien entwickelt, mit deren Hilfe es möglich wurde, eher "echte" von eher "unechten" Jesus-Worten und -taten zu unterscheiden. Nach Auffassung des Theologen Gerd Lüdemann (*1946) lässt sich insbesondere daraus die Wahrscheinlichkeit der historischen Existenz Jesu herleiten:

"Der entscheidende Grund dafür, die historische Existenz Jesu anzunehmen, ergibt sich aus der Einzelanalyse der vorhandenen Jesus-Texte selbst. Sie hat nicht nur die meisten von ihnen als unecht, sondern auch einen überschaubaren Kern als echt erwiesen. Im Zug der Analyse schälten sich Methoden heraus, authentische und nichtauthentische Texte voneinander zu trennen."

Anmerkung
Diese Feststellung stammt aus dem Reader zu einem Workshop Lüdemanns mit dem Thema Hat Jesus gelebt?. Dieser Workshop fand am 31.05.2008 in Göttingen statt.

Der folgende Abschnitt befasst sich etwas ausführlicher mit echten und unechten Jesusworten und -taten.

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Echte und unechte Worte und Taten Jesu

Es entspricht der langen Tradition des organisierten Christentums, alle "Worte Jesu" immer so zu zitieren, als habe er sie selber gesprochen. Damit wird den Zuhörern oder Lesern suggeriert, dass es sich um authentische Aussagen des historischen Jesus handele. Analog wird mit den Jesus zugeschriebenen (Wunder-)Taten verfahren. Korrekt wäre es, stets darauf hinzuweisen, dass ihm die Mehrzahl dieser Worte und Taten von den spätantiken Schreibern, Abschreibern, Nacherzählern oder Dichtern der neutestamentlichen Texte in den Mund gelegt bzw. zugeschrieben worden sind.

Wie schon im vorausgehenden Kapitel erwähnt, haben "historisch-kritische" Theologen durch eine detaillierte Analyse der Texte gezeigt, dass zwischen den vielen unechten und den wahrscheinlich echten Worten und Taten Jesu unterschieden werden kann. Die Worte und Taten Jesu, die für diese Analyse in Frage kommen, sind im Wesentlichen in den ersten vier Büchern des NT, also in den Evangelien zu finden, die die Namen der möglichen, uns jedoch völlig unbekannten, Urheber Matthäus, Markus, Lukas und Johannes tragen.

Im Folgenden wird die Echtheits-/Unechtheits-Problematik in der christlichen Überlieferung eher stichwortartig und mit wenigen Beispielen angerissen. Für weitergehende Informationen sei hier auf die Bücher der Theologen Herbert Braun und Gerd Lüdemann verwiesen.

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Echt oder unecht – für die frühen Christen ohne Bedeutung

Der evangelische Theologe Herbert Braun (1903-1991), der in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts an der Universität Mainz Neues Testament lehrte und manchem seiner Kollegen als »Ketzer« galt, hat sich in seinem Buch Jesus – der Mann aus Nazareth und seine Zeit sehr gewissenhaft mit der hier angesprochenen Problematik auseinandergesetzt. Er weist auf zweierlei hin:

  1. "… die einzelnen Evangelisten haben deutlich umrissene theologische Absichten und Zielsetzungen, die sie dem mündlich oder schriftlich ihnen überlieferten Stoff aufprägen; das heißt, sie lassen Jesus in einer ihrer theologischen Überzeugung gemäßen Weise reden."

  2. "Die christliche Gemeinde war, bis in den Anfang des zweiten Jahrhunderts hinein, von der Überzeugung getragen, vom heiligen Geist spezielle Sprüche und Worte als Weisungen zu empfangen. […] Der urchristliche, im Geist redende Prophet sagt also Worte des erhöhten Herrn."

Die unter 2. angesprochene Quelle von, höchstwahrscheinlich, unechten Jesus-Worten und -Taten wird in der theologischen Literatur, zur Unterscheidung von älterer Überlieferung, auch als "Gemeindebildung" bezeichnet. In dem so bezeichneten Prozess war der historische Jesus längst verblasst, es wirkte darin ausschließlich die erdachte Gestalt des "erhöhten Herrn", d. h. des Gottmenschen Christus.

Herbert Braun identifiziert darüber hinaus die "urchristliche Grundeinstellung" als wesentlichen Grund dafür, dass wir es heute mit echten und unechten Worten und Taten Jesu zu tun haben:

"Da es den ersten Christen aber auf den Inhalt der Worte ankam, machten sie keinen Unterschied zwischen Worten, die wirklich von dem geschichtlichen Jesus gesprochen wurden, und zwischen solchen Worten, die ein christlicher Prophet in einer konkreten Lage als Sprüche Jesu zu Gehör brachte. So werden wir uns nicht wundern, dass von dieser urchristlichen Grundeinstellung her in der Tradition in beträchtlichem Umfange Worte als Jesusworte überliefert werden, die auf diese zweite Quelle, den im Geist sprechenden urchristlichen Propheten, zurückgehen. Die so von einem christlichen Propheten vorgebrachten »Worte Jesu« mögen die Grundeinstellung Jesu angemessen wiedergeben. Für uns aber, die wir hier nach dem fragen, was der geschichtliche Jesus wirklich gesagt hat, müssen sie als »unecht« gelten. Das ist kein Werturteil; es ist eine historische Feststellung."

Anhand Jesu »Gebot der Feindesliebe« (s. Mt 5,44) zeigt Herbert Braun beispielhaft auf, welches Kriterium für dessen Echtheits- oder Unechtheits-Nachweis in Frage kommt: Ein Jesuswort ist wahrscheinlich echt, wenn es "jüdischem Denken widerspricht". Er führt weiter aus:

"Hier ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Annahme gerechtfertigt, dass wir in solch einem Spruch der Tradition ein Wort aus dem Munde Jesu, ein echtes Jesuswort vor uns haben. Ich sagte: »mit großer Wahrscheinlichkeit«. Denn ausgeschlossen ist es auch in diesem Falle nicht, dass ein judenchristlicher Überlieferer die Art Jesu gut begriffen, aber den Spruch gleichwohl selber formuliert hat; dass solch ein Wort zwar typisch für Jesus, aber trotzdem – was die Formulierung anlangt – unecht ist. Ich hoffe die Situation der Forschung ist aus alledem dem Leser grundsätzlich klar geworden: eine absolute Sicherheit gibt es nicht; aber bei entsprechender Vorsicht kann das Urteil einen mehr oder minder hohen Grad der Wahrscheinlichkeit erreichen."

Es spricht für die intellektuelle Redlichkeit Herbert Brauns, dass er ganz unmissverständlich klarstellt: "Eine absolute Sicherheit gibt es nicht". Daraus leitet sich m. E. die große Verantwortung für alle Theologen ab, die sich mit der Interpretation von Jesus-Worten und -Taten befassen. Nach meiner Erfahrung sind sich insbesondere die Theologen auf den Kanzeln dieser Verantwortung kaum bewusst. Sie gehen in ihren Predigten sehr unbekümmert, um nicht zu sagen: leichtfertig, mit den einschlägigen Textpassagen aus dem Neuen Testament um.

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"Schöpferische Produktivität der Gemeinde"

Aus den bisherigen Betrachtungen ist schon deutlich geworden, dass die ursprünglichen Evangelientexte, im Rahmen eines Prozesses, der mit dem Begriff "Gemeindebildung" umschrieben wird, vielfach um unechte Jesusworte ergänzt wurden. Einen weiteren Hinweis darauf fand ich beim Theologen Martin Dibelius (1883-1947). In einem Nachtrag zu Dibelius' Werk Die Formgeschichte des Evangeliums geht Gerhard Iber auf Neuere Literatur zur Formgeschichte ein. U. a. erwähnt er auch zwei – damals – neuere Arbeiten von Martin Dibelius. Hier ein paar bezeichnende Sätze daraus:

"In einer eingehenden Analyse der Gethsemaneperikope erläutert er die Entstehung eines nicht zum ursprünglichen Bestand gehörenden Teils der Leidensgeschichte aus Elementen der Gemeindetradition im Rahmen vor allem des MK- und Lk-Evangeliums. Beispielhafte Analyse bietet auch der Aufsatz über »Die Bergpredigt«. Er sucht einerseits den ursprünglichen Wortlaut und den theologischen Gehalt der hier zusammengestellten Jesusworte zu ermitteln und andererseits die der Paränese dienende Stilisierung dieser [...] Worte zu verdeutlichen. In beiden Arbeiten tritt zutage, was es bedeutet, wenn DIBELIUS von der schöpferischen Produktivität der Gemeinde spricht."

Anmerkung
Hervorhebungen im vorausgehenden Zitat stammen vom Autor der Site.

Ruft man sich in Erinnerung, dass die unechten bzw. "erfundenen Jesusworte" nach heutigem Verständnis Fälschungen sind, stellt sich die Frage, ob Dibelius dieses Verständnis auch schon hatte. Ich habe meine Zweifel: Hätte er der m. E. eher positiv besetzten Wortbildung "schöpferische Produktivität der Gemeinde" dann nicht irgendein relativierendes Adjektiv voranstellen müssen? Wer weiß, vielleicht war seine Feststellung ja von einem schelmischen Augenzwinkern begleitet ...

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Das "Fluchwunder" – eine unechte Tat Jesu
Bei Bertrand Russel (1872-1970), in seinem Essay Warum ich kein Christ bin, und auch bei anderen Autoren fand ich kritische Betrachtungen der Geschichten von den "Gadarener Säuen" (Die Heilung der zwei besessenen Gadarener in Mt 8, 28-34) und von der "Verfluchung des Feigenbaums".

Eine unnachahmliche Würdigung "der Geschichte von den Schweinen und den Dämonen" ist schon von einem der bedeutendsten Kritiker des frühen Christentums, von dem neuplatonischen Philosophen Porphyrios (234-frühes 4. Jh.), überliefert. In seiner aus Fragmenten teilweise rekonstruierten und vom Theologen Adolf von Harnack (1851-1930) übersetzten Schrift Gegen die Christen urteilt er kurz und bündig:

"O Fabel, o Geschwätz, o wahrhaft groteske Lächerlichkeit!"

Ich war also zunächst eher zögerlich, mich ebenfalls zu diesen beiden "Wundertaten" Jesu zu äußern. Ich bin dann jedoch dem besonderen "Charme" der Geschichte vom beklagenswerten Feigenbaum erlegen, insbesondere dem Reiz der, in einem wichtigen Punkt, unterschiedlichen Schilderungen, die die Schreiber, Abschreiber oder Nacherzähler der mit den Namen Markus und Matthäus verknüpften Evangelien hinterlassen haben. In meiner "Stuttgarter Senfkornbibel" von 1955 liest sich die Geschichte bei Markus (Mk 11,12-14. 20-24) so:

»Verfluchung des Feigenbaums.
11. Und der Herr ging ein zu Jerusalem und in den Tempel, und er besah alles; und am Abend ging er hinaus gen Bethanien mit den Zwölfen.
12. Und des andern Tages, da sie von Bethanien gingen, hungerte ihn.
13. Und er sah einen Feigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da trat er hinzu, ob er etwas darauf fände. Und da er hinzukam, fand er nichts denn nur Blätter; denn es war noch nicht Zeit, dass Feigen sein sollten.
14. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Nun esse von dir niemand eine Frucht ewiglich! Und seine Jünger hörten das.
[…]
Von der Macht des Gebets.
20. Und am Morgen gingen sie vorüber und sahen den Feigenbaum, dass er verdorrt war bis auf die Wurzel.
21. Und Petrus gedachte daran und sprach zu ihm: Rabbi, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.
22. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt Glauben an Gott.
23. Wahrlich ich sage euch: Wer zu diesem Berg spräche: Hebe dich und wirf dich ins Meer! Und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass es geschehen würde, was er sagt, so wird's ihm geschehen, was er sagt.
24. Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, dass ihr 's empfangen werdet, so wird's euch werden.«

Anmerkung
Hervorhebung stammt vom Autor der Site.

Die parallele Fundstelle im Matthäusevangelium ist Mt 21,18-22 (ebenfalls aus der Senfkornbibel von 1955):

»Verfluchung des Feigenbaums
18. Als er aber des Morgens wieder in die Stadt ging, hungerte ihn;
19. und er sah einen Feigenbaum an dem Wege und ging hinzu und fand nichts daran denn allein Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir hinfort nimmermehr eine Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte alsbald.
20. Und da das die Jünger sahen, verwunderten sie sich und sprachen: Wie ist der Feigenbaum so bald verdorrt?
21. Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: So ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein solches mit dem Feigenbaum tun, sondern, so ihr werdet sagen zu diesem Berge: Hebe dich auf und wirf dich ins Meer! so wird's geschehen.
22. Und alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubet, werdet ihr's empfangen.«

Anmerkung
Die Verfasser des dritten synoptischen, mit dem Namen Lukas verknüpften, Evangeliums verzichteten ganz auf die Weitergabe des "Fluchwunders".

Den Schreibern, Abschreibern oder Nacherzählern des Matthäusevangeliums muss das im älteren Markusevangelium beschriebene schäbige Verhalten Jesu wohl Unbehagen bereitet haben. Anders ist nicht zu erklären, dass sie bei der Übernahme der Geschichte zumindest die Jesu Handeln besonders disqualifizierende Feststellung »denn es war noch nicht Zeit, dass Feigen sein sollten« wegließen. Um dem erfundenen Geschehen eine gewisse Plausibilität zu geben, bemühten die unbekannten Verfasser in beiden Überlieferungen ihre Fantasie und legten Jesus Äußerungen über die "Macht des Gebets" sowie über die Berge versetzende Kraft des Glaubens in den Mund.

In der theologischen Literatur fand ich für das erfundene Geschehen so merkwürdige Bezeichnungen wie "Strafwunder" und "Fluchwunder". Was ich dort ebenfalls fand war die Gleichsetzung des Feigenbaums mit "Israel". Letztere scheint mir der, die antijüdische Tendenz in den neutestamentlichen Texten gut nachvollziehenden, Interpretationskunst fantasiebegabter moderner Theologen geschuldet.

Abschließend sei angemerkt – was sich beinahe schon erübrigt – dass es sich um eine unechte Tat Jesu handelt. Das ergibt sich schlüssig aus einem der Unechtheitskriterien, die ich beim Theologen Gerd Lüdemann (*1946) fand: "Durchbrechung von Naturgesetzen".

Anmerkung
Das zitierte Unechtheitskriterium stammt aus dem Reader zu einem Workshop Lüdemanns mit dem Thema Hat Jesus gelebt?. Dieser Workshop fand am 31.05.2008 in Göttingen statt.

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Die "Ich-bin-Reden" im unechten Johannesevangelium
Da das sog. Johannesevangelium schon im 19. Jahrhundert als "eine rein ideale Komposition ohne geschichtlichen Halt" (Ferdinand Christian Baur) entlarvt wurde, erscheint es mir als gerechtfertigt, es insgesamt als unecht zu bezeichnen. Vom Jesus-Jünger gleichen Namens stammt es ohnehin nicht. Aus dieser Sicht erübrigt es sich m. E. auch, die Jesus darin zugeschriebenen Worte und Taten detailliert zu betrachten. Der Theologe Gerd Lüdemann (*1946) hat dies dennoch getan und z. B. die im 4. Evangelium enthaltenen sog. "Ich-bin-Reden" Jesu einzeln analysiert. Es überrascht nicht, dass er in seinem Buch Der erfundene Jesus allesamt als unecht identifiziert.

Die Fundstellen dieser "Reden" im Johannesevangelium sind:

6,35b.48-51 »Ich bin das Brot des Lebens.«
8,12 »Ich bin das Licht der Welt.«
10,7b-10 »Ich bin die Tür der Schafe.«
10,11-16 »Ich bin der gute Hirte.«
11,25-26 »Ich bin die Auferstehung und das Leben.«
14,4-7 »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.«
15,1-8 »Ich bin der wahre Weinstock.«

Der fantasiebegabte "Dichter" des Johannes-Evangeliums, seine Abschreiber oder "nachträglichen Ergänzer" (Gerd Lüdemann) müssen diese Worte wohl in geradezu wahnhaften Geisteszuständen formuliert haben. Die in den "Reden" zum Ausdruck kommende Anmaßung ist nicht zu überbieten.

Der Philosoph Joachim Kahl (*1941) kommt daher in seinem Buch Weltlicher Humanismus zu einer ebenso plausiblen wie vernichtenden Aussage:

"Heilslehrer, die von sich selbst behaupten, »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«, sind der Gefahr der Selbstverabsolutierung erlegen. Sie verkennen die Vielfalt der Wege, die Fülle der Wahrheitsaspekte, die Mannigfaltigkeit der Lebensentwürfe. Ihr Ruf in die Nachfolge und in die Jüngerschaft lockt in eine Sackgasse."

Jesus wird hier, wie an vielen anderen Stellen auch, zum "Sprachrohr" diverser Interessenvertreter des frühen Christentums, zum willfährigen "Instrument" also, im Konkurrenzkampf mit den etablierten Religionen der Spätantike. Schon ein flüchtiger Blick auf die geschichtliche Entwicklung des organisierten Christentums zeigt, dass bereits die alte Kirche das Selbstverständnis entwickelte, alleinige Heilsbringerin zu sein. Entsprechend suggerierte sie dies ihren Gläubigen. Die darin zum Ausdruck kommende "Selbstverabsolutierung" dauert, in verschiedenen christlichen Konfessionen, bis heute an. In dieses Bild passt auch das Wort von Augustinus (354-430), des wohl einflussreichsten Vordenkers der alten Kirche:

"Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der Kirche dazu bewöge."

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Fazit: Viele Worte und Taten Jesu – "fromme Fiktionen vergangener Zeiten"

Der Theologe Gerd Lüdemann (*1946) schreibt in der Einleitung zu seinem Buch Der erfundene Jesus:

"Wichtig bleibt die Einsicht, dass die Evangelien des Neuen Testaments überwiegend erfundene Jesusworte enthalten."

Im Schlusskapitel "Erfundene Jesusworte und die Suche nach der Wahrheit" beschreibt er dann sehr plausibel das Dilemma, in dem sich das organisierte Christentum befindet:

"Den heutigen Betrachter, der nach zuverlässigen Informationen über Jesus – nach Wahrheit – im Neuen Testament sucht, beschleicht ein mulmiges Gefühl. Die frühen Christen vertraten ein leidenschaftliches Wahrheitspathos und taten Lügen – als Bestandteil der von ihnen vermeintlich überwundenen bösen Welt – in den Bann. Dessen ungeachtet gebrauchten sie als religiöse Richtschnur die Evangelien des Neuen Testaments, die größtenteils aus erfundenen Jesusworten bestehen. Bis heute gelten diese Sprüche innerhalb der christlichen Kirchen als Gotteswort, obwohl sie durch den Erweis ihrer Unechtheit seit langem diskreditiert sind.

Zwar waren die Erfinder unechter Jesusworte davon überzeugt, dass Jesus wirklich so gesprochen hatte. Sie handelten daher nicht in betrügerischer Absicht, sondern meinten, einer höheren Wahrheit zu dienen. Doch ändert das nichts daran, dass diese Christen objektiv die Unwahrheit gesagt haben und, da ihre Jesusworte als Teil einer Heiligen Schrift bis heute wirken, auch in der Gegenwart weiter »lügen« dürfen.

Daher ist klar: Wer den Prozess der massenhaften Erfindung von Jesusworten durchschaut, wird sie als fromme Fiktionen vergangener Zeiten werten und den hinter ihnen stehenden religiösen Anspruch nur noch belächeln. Und da sie als Worte des »Herrn« in der Gegenwart – wider alle Vernunft – weiter offizielle Glaubensgrundlagen der Kirchen sind, ist es notwendig, dass die historisch-kritische Bibelwissenschaft den Wahnwitz eines solchen Gebrauchs offen legt. Mein Buch ist nur ein kleiner Schritt in dieser Richtung."

Dass die Lüdemannsche Beschreibung des unkritischen Gebrauchs 'gezinkter' Glaubensgrundlagen in den Kirchen selbst noch im 21. Jahrhundert zutrifft, ist erschütternd: Ungefähr 250 Jahre nach der Aufklärung und mehr als 150 Jahre nach der Einführung der "historisch-kritischen Methode" in die Erforschung der überlieferten Texte finde ich diese Tatsache nicht nur als unglaublich, sondern als zutiefst beschämend. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich, was nun nicht mehr überrascht, als die natürliche Folge der beharrlichen Weigerung der (akademischen) Theologen ihr selbst gewähltes Denk-Getto zu verlassen.

Das ist zwar bedauerlich und verachtenswert, andererseits aber nicht weiter verwunderlich, steht dem theologischen Denken in diesem "Theotop" doch nur ein von Dogmen streng begrenzter Vorrat an Denk-Optionen zur Verfügung. Diese konstitutive Beschränktheit hindert die fantasiebegabten Getto-Insassen aber nicht daran, ihre Interpretationen der erfundenen "Glaubensgrundlagen" in ebenso dickleibigen wie überflüssigen Werken zu verewigen, die mittlerweile ganze Bibliotheken füllen. Und dabei können diese grandiosen "Denker" ganz unbekümmert ihren Hobbys frönen, werden sie doch von der Gesellschaft, aus welchen Motiven auch immer, uneingeschränkt toleriert und großzügig finanziert.

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Jesu Naherwartung des Reiches Gottes – was daraus wurde

Von den Überlieferern, den Schreibern, Abschreibern, Nacherzählern oder Dichtern der frühchristlichen Schriften wurden Jesus Worte über das baldige Weltende, über das Kommen des Reiches Gottes bzw. über die bevorstehende eigene Wiederkunft in den Mund gelegt. Dieser Jesus weissagte zudem, dass die angekündigten "letzten Dinge" noch zu Lebzeiten mancher seiner Zuhörer geschehen würden.

Eines dieser Worte, vom Theologen Gerd Lüdemann (*1946) als unecht eingestuft, stammt aus dem 4. Evangelium und steht dort am Anfang einer der sog. "Abschiedsreden" Jesu. Der "Dichter" dieses Textes, der unbekannte Johannes, lässt seinen Jesus im Kapitel 16, Vers 16 sagen:

»16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.«

Der johanneische Jesus spricht hier zu seinen Jüngern und kündigt ihnen seinen Tod und seine Wiederkunft an. Beide Ereignisse würden nur »eine kleine Weile« auf sich warten lassen. Es handelt sich hier um eine Glaubensmeinung, die offenbar schon von den ersten Christen verbreitet wurde. Dies lässt sich u. a. daraus ableiten, dass, bereits 50 bis 70 Jahre vor dem Johannes des 4. Evangeliums, ein anderer Autor ähnliche Vorstellungen niederschrieb. Es handelt sich um Paulus, den einzigen Autor neutestamentlicher Texte, der uns bekannt ist. In seinem als echt geltenden ersten Brief an die Thessalonicher, zugleich die älteste Schrift im NT (um 50 n. Chr.), steht in Kapitel 4, in den Versen 15-18:

»15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
16 Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen.
17 Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.
18 So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.«

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Jesu Vorhersage seiner baldigen Wiederkunft – eine Falschmeldung

Viele theologische Autoren, sowohl konservative als auch kritische, haben sich mit dem Ausbleiben der "Wiederkunft des Herrn", mit der "Parusieverzögerung", auseinandergesetzt. Am radikalsten hat sich wohl David Friedrich Strauß (1808-1874), einer der berühmtesten Theologen des 19. Jahrhunderts, dazu geäußert. Albert Schweitzer (1875-1965) sagte über ihn in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, dass er "nicht der größte und nicht der tiefste unter den Theologen, aber der wahrhaftigste" war. Mit dem "Gang des Fortschritts in der Erforschung des Lebens Jesu" verbindet Schweitzer die Vorstellung von zwei Perioden: "vor Strauß und nach Strauß." Über das Straußsche Werk Das Leben Jesu – kritisch bearbeitet von 1837 schreibt er:

"Als literarisches Werk gehört Straußens erstes Leben-Jesu zum vollendetsten, was die wissenschaftliche Weltliteratur kennt. Über vierzehnhundert Seiten, und kein Satz zuviel; ein Zerlegen bis in die geringsten Details und kein Sichverlieren in Kleinigkeiten; der Stil einfach, reich an Bildern, zuweilen ironisch, aber immer vornehm und würdig."

In dem Buch Der gefälschte Glaube von Karlheinz Deschner (1924-2014) fand ich, im Zusammenhang mit dem "urchristlichen Dogma vom nahen Weltende", die oben angesprochene radikale Äußerung von David Friedrich Strauß:

»Es fällt mir nicht ein, zu bestreiten, dass Jesus ein vorzüglicher Mensch gewesen; was ich behaupte ist nur dies: Nicht um dessen willen, was er war, sondern um dessen willen, was er nicht war, nicht um des Wahren willen, das er lehrte, sondern um einer Vorhersage willen, die nicht eingetroffen, also nicht wahr gewesen ist, hat man ihn zum Mittelpunkt einer Kirche, eines Kultus gemacht. Nachdem wir erkannt haben, dass er das nicht gewesen, dass das nicht wahr ist, um dessen willen man ihn dazu gemacht hat, ist für uns der Grund und, sofern wir wahrhaftig sein wollen, auch das Recht hinweg gefallen, einer solchen Kirche anzugehören.«

Es drängen sich folgende Überlegungen auf: Wenn Jesus von göttlicher Herkunft war, ausgestattet mit Allmacht und Allwissenheit, ist von vornherein auszuschließen, das ihm ein Irrtum unterlaufen sein könnte. Dann erscheint es plausibler anzunehmen, dass er seine Zuhörer bewusst getäuscht habe. In der antiken griechischen Götterwelt z. B. war dies ein durchaus vorstellbares Geschehen. Nach dem Verständnis der frühen Christen war ihr «Gott» jedoch allen anderen Göttern weit überlegen. Er war für sie zweifelsohne ein vollkommenes Wesen. Auf diesem Hintergrund scheidet, für Christen allemal, die Annahme einer Täuschung ebenso aus wie die eines Irrtums. Da sich die Vorhersage seiner baldigen Wiederkunft nicht erfüllte, verbleibt also nur eine vernünftige Schlussfolgerung: Der historische Jesus, aus dem spätantike religiöse Enthusiasten die "Kunstfigur" des göttlichen Christus schufen, war in Wirklichkeit vielleicht ein "vorzüglicher Mensch" mit ein paar neuen Ideen, aber eben nur ein Mensch unwissend und irrend, wie alle anderen Menschen auch - vor ihm und nach ihm.

Albert Schweitzer (1875-1965) richtete eine unmissverständliche Mahnung an alle christlichen Apologeten, die versucht sein könnten, sich um unbequeme Einsichten herumzudrücken:

"Alle Versuche, dem Eingeständnis zu entgehen, dass Jesus eine Vorstellung von dem Reich Gottes und seinem baldigen Kommen besaß, die unerfüllt blieb und von uns nicht übernommen werden kann, bedeuten Verfehlungen gegen die Wahrhaftigkeit."

Anmerkungen
- Hervorhebung im Schweitzer-Zitat stammt vom Autor der Site.
- Das Zitat fand ich im Buch der Glaube eines Ketzers des deutsch-amerikanischen Philosophen Walter Kaufmann (1921-1980).

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Das Reich Gottes blieb aus – dafür kam die Kirche!

Das vom "erfundenen" Jesus vorausgesagte baldige Kommen des Reiches Gottes sowie die damit einhergehende eigene Wiederkunft – noch zu Lebzeiten mancher seiner Zuhörer – traten jedenfalls nicht ein. Die wichtigste Ausgangshypothese frühchristlichen Glaubens blieb unbestätigt. Das Ausbleiben der verheißenen Wiederkunft des «Herrn» bedeutete für das Urchristentum demzufolge den Entzug seiner Grundlage und damit die Infragestellung seiner Existenzberechtigung. Die Selbstauflösung der lokalen christlichen Gemeinden wäre daher eine nahe liegende Konsequenz gewesen. Wie die Geschichte des Christentums lehrt, wurde diese jedoch nicht gezogen. Der Gemeinplatz "das Reich Gottes blieb aus, dafür kam die Kirche", umschreibt treffend die Folge dieser Verweigerungshaltung.

Schon Paulus, der zwar davon ausging, dass er das Kommen des Reiches Gottes noch erleben würde, sprach von einem ungewissen, nur dem «Herrn» bekannten, Zeitpunkt. In seinem als echt geltenden ersten Brief an die Thessalonicher, verwendet er das berühmte Bild vom »Dieb in der Nacht« (1 Th 5,2):

»2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.«

Jahrzehnte nach Paulus Tod legten die Schreiber des Matthäusevangeliums, nun aber mit dem Wissen um die "Parusieverzögerung", Jesus Worte mit ganz ähnlichem Sinngehalt in den Mund: Aufgrund des unbekannten Zeitpunktes der Wiederkunft des «Herrn» sei es klug, stets auf sein Kommen vorbereitet zu sein. Es handelt sich um das Gleichnis »von den klugen und törichten Jungfrauen«, die auf den »Bräutigam« warten. Es steht im Kapitel 25, in den Versen 1-13:

»1 Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.
2 Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
3 Die törichten nahmen Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.
4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.
5 Als nun der Brätugam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.
6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen.
7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.
8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre lampen verlöschen.
9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.
10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.
11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprache: Herr, Herr, tu uns auf!
12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.«

Die hier gleichnishaft beschriebene »Hochzeit« der »klugen Jungfrauen« mit dem «Herrn» steht für den Eingang der Gläubigen in das "ewige Leben". Die »törichten Jungfrauen«, d. h. die Ungläubigen, werden gnadenlos ausgegrenzt. Der guten Ordnung halber sei noch angemerkt, dass dieses Gleichnis zu den unechten Jesusworten zählt (Gerd Lüdemann).

Auf diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass Jesus später Worte in den Mund gelegt wurden, die dazu führen mussten, dass die Rolle des "Heilsbringers" vom ausbleibenden «Herrn» auf die Kirche überging. Ein gutes Beispiel dafür enthält der aus dem 2. Jahrhundert stammende"unechte Markusschluss". In Mk 16,16, heißt es:

»16 Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.«

Hier wird den Hörern oder Lesern suggeriert, dass allein die Kirche ihnen zur (ewigen) Seligkeit verhelfen könne: durch die Vermittlung des Glaubens an Christus und den Vollzug der Taufe. Die weitestgehend unkritische Haltung der Gläubigen gegenüber diesem anmaßenden Auftreten verhalf schon der frühen Kirche zu einer einzigartigen Machtposition. Die, neben den positiven Verheißungen für die Gläubigen und/oder Getauften, fast ebenso häufig ausgesprochene Verdammung der Ungläubigen stabilisierte diese Postion zusätzlich.

Im Buch Der Jesuswahn des Theologen Heinz-Werner Kubitza (*1961) fand ich eine sehr treffende weitergehende Betrachtung der aus dem Markus-Evangelium zitierten Textstelle. Für ihn enthält diese Stelle

"Eines der Unworte der Bibel, das es an primitiver Deutlichkeit nicht fehlen lässt. Es wird jedoch von den Gläubigen in seiner grundsätzlichen Inhumanität nicht erkannt, was daran liegt, dass der Gläubige sich selbst auf der guten Seite wähnt und das Schicksal der anderen weniger in seinen Blick gerät.

Der Glaube an Jesus wurde alsbald ein solches Kriterium, mit dem man sich von anderen abgrenzte und andere ausgrenzte. […] Bei aller vorgetragenen Menschenfreundlichkeit im Wirken Jesu sind doch auch schon bei ihm Tendenzen zur Ausgrenzung eindeutig vorhanden. Die Kirche konnte darauf aufbauen."

Anmerkung
Hervorhebungen im Zitat stammt vom Autor der Site.

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Göttliche Verheißungen und Verdammungen – Erfindungen der frühen Kirche

Die in den Schriften des NT immer wieder auftauchende enge Verknüpfung von Verheißungen und Verdammungen erreicht ihren "Gipfel" wohl in einem Abschnitt des Matthäusevangeliums, der die Überschrift »Vom Weltgericht« trägt. Selbstverständlich handelt es sich auch hier, in Mt 25, 31ff, um "unechte Jesusworte":

»31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit.
32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet,
33 und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt zu essen gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.
36 Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
37 Dann werden die Gerechten antworten und sagen: Herr wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet?
39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
41 Dann wird er auch sagen zu denen zu seiner Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
42 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.
43 Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.
44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.
46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.«

Diese im Matthäusevangelium überlieferte Glaubensmeinung unterscheidet sich in ihrer Qualität kaum von archaischen Fantasien frühjüdischer Theologen im Alten Testament. Bekanntlich handelt es sich dort um Fantasien, in denen zwar fiktive, aber äußerst grausame Strafmaßnahmen des jüdischen Stammesgottes «Jahwe» gegenüber Götzendienern, Ungläubigen und/oder Feinden Israels verherrlicht werden.

Beim Lesen dieses Textes drängt sich bei mir der Begriff "Psychoterror" ins Bewusstsein. Dieses Folterinstrument, das äußerlich kaum sichtbare Spuren hinterlässt, nutzten die Kirchen über unendlich lange Zeiträume zur Stabilisierung ihrer Macht. – Wirft man einen Blick in den Katechismus der römischen Konfession (KKK), kann man den Eindruck gewinnen, dass die vatikanischen Verfasser das o. g. Folterinstrument auch heute noch zu schätzen wissen (s. hier).

Darüber hinaus lassen die zitierten Bibelworte in meinem Bewusstsein das ganz und gar unerträgliche Bild eines Jesus entstehen, der die "Selektion" auf der "himmlischen Rampe" befehligt.

Die Verfasser der zitierten abstrusen Texte wussten nicht, was sie schrieben, ahnten nicht, welche belastende Hypothek sie dem Christentum mitgaben. In den Kirchen, abgesehen von christlich-fundamentalistischen Kreisen, werden heute zwar nur noch ausgewählte, weniger anstößige, Texte aus dem NT zitiert und in Gottesdiensten ausgelegt. Die Kirchen nehmen also durchaus Rücksicht auf jene ihrer "Gläubigen" oder genauer: auf jene ihrer Mitglieder, die allzu archaisch-infantile Glaubensmeinungen nicht mehr widerspruchslos übernehmen wollen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die 'ausgeblendeten' Texte ja immer noch vorhanden sind.

In den von Norbert Hoerster (*1937) im Jahr 1984 herausgegebenen Texten zur Religionskritik findet sich auch ein Essay des Philosophen Walter Kaufmann (1921-1980). In diesem trifft er, mit satirischen Zwischentönen, eine für diesen Zusammenhang sehr plausible Feststellung:

"Die Theologie weist in weiten Bereichen große Ähnlichkeit mit einem Puzzlespiel auf: Die Verse der Heiligen Schrift sind die einzelnen Stücke; das fertige Bild aber bestimmt die jeweilige Konfession, wobei ein gewisser Interpretationsspielraum zugelassen wird. Was das Spiel so witzlos macht, ist die Tatsache, dass man durchaus nicht alle Stücke zu benutzen braucht und jedes nicht passende Stück einfach umfunktionieren kann, sofern man ein »dieses bedeutet« hinzufügt. Man nennt das Exegese."

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Notwendige Abschiede

Ich wünschte mir, dass die führenden Köpfe der Kirchen endlich ihr intellektuelles Gewissen befragten und öffentlich darlegten, von welchen der tradierten archaisch-infantilen christlichen Glaubensvorstellungen sie sich endlich zu verabschieden gedächten.

Vor allem aber müssten sich die Köpfe der Kirchen von dem, in den zitierten Texten gezeichneten, Gottesbild verabschieden. Was ist das für ein Gott, der seine "Kinder" völlig im Ungewissen lässt über den Zeitpunkt des "Jüngsten Gerichts"? Was ist das für ein Gott, der die "Gesegneten", aufgrund ihres gottgefälligen Verhaltens während ihres Erdenlebens von begrenzter Dauer, in die "ewige Seligkeit" aufnimmt und die "Verfluchten", wegen ihrer Verfehlungen während einer ebenso begrenzten Zeitspanne, in das "ewige Feuer" schickt? – Es handelt sich, analog zum "erfundenen Jesus", um einen erfundenen Gott, der völlig verzichtbar ist.

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"Die mythische Eschatologie ist erledigt"
Der Philosoph und Theologe Helmut Groos (1900-1996) begründete, in seinem 1987 erschienenen Buch Christlicher Glaube und intellektuelles Gewissen, seine endgültige Abkehr vom Christentum. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich im zweiten Teil seines Buches, unter der Überschrift Der Christliche Glaube erneut auf dem Prüfstand, noch einmal sehr eingehend und fundiert mit den wesentlichen christlichen Glaubensvorstellungen auseinander zu setzen. Im Kapitel Der Kommende befasst er sich mit den eschatologischen Aspekten der christlichen Überlieferung. Er beschreibt die Bemühungen diverser Theologen, die darin zum Ausdruck kommende "christliche Zukunftshoffnung" zu rechtfertigen oder zu widerlegen. Er zeigt auf, dass es denjenigen, die sie unbedingt erhalten wollen, nur durch die Preisgabe von Logik und "elementarster Erkenntnistheorie" gelingt.

Helmut Groos nennt u. a. auch Rudolf Bultmann (1884-1976), einen namhaften Theologen seiner Zeit, der sich mit dem "eschatologischen Glaubensbereich" kritisch auseinandersetzte. Für ihn lag diesen Glaubensvorstellungen ein "mythisches Weltbild" zugrunde. Nach einer kurzen Aufzählung verschiedener Elemente der christlichen Eschatologie kommt Groos, unter Verwendung von Bultmann-Zitaten, zu folgender Einschätzung:

"In der Tat: Man braucht diese eschatologischen Motive nur so aufzuzählen, um den mythischen Charakter des Ganzen mit Händen zu greifen. Außerdem lassen sie sich einzeln »leicht auf die zeitgeschichtliche Mythologie der jüdischen Apokalyptik und des gnostischen Erlösungsmythos zurückführen«. Jedenfalls ist diese mythologische Vorstellungsweise »dem modernen Menschen fremd geworden«. »Wir können die Vorstellung vom Kommen Christi auf den Wolken des Himmels ehrlicherweise nicht mehr vollziehen.«

Hiernach erübrigt sich eine weitere Auseinandersetzung. »Die mythische Eschatologie ist« nach Bultmann »im Grunde durch die einfache Tatsache erledigt, dass Christi Parusie nicht, wie im Neuen Testament erwartet, alsbald stattgefunden hat, sondern dass die Weltgeschichte weiterlief und – wie jeder Zurechnungsfähige überzeugt ist – weiterlaufen wird«."

Diese klaren Aussagen heben sich sehr wohltuend ab von allen theologisch-kryptischen Denkfiguren der Verteidiger der jahrtausendealten archaisch-infantilen christlichen Glaubensmeinungen.

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Kam mit Jesus eine neue Ethik in die Welt? – Neu oder nicht neu: Hat sie das sittliche Verhalten der Menschen positiv verändert?

Wegen seines Umfangs ist dieser wichtige Teilaspekt der Glaubensinhalte des Christentums auf eine eigene Seite ausgelagert:

>>>  Ethik  <<<

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Vom Menschen Jesus zur "Kunstfigur" Christus

Der Prozess der Vergottung Jesu zum neuen Gott Christus begann wahrscheinlich schon sehr bald nach seiner Ermordung, um die Mitte des ersten Jahrhunderts. Im 2. Jahrhundert war seine Gottheit, ausgestattet mit Eigenschaften, die von anderen antiken Gottheiten entlehnt wurden, schon zu einem stabilen Element urchristlicher Tradition geworden. Es entsprach der Mentalität und dem beschränkten Erkenntnishorizont spätantik-hellenistischer Menschen zu glauben bzw. für wahr zu halten, dass nur ein Gott denen, die an ihn glaubten, "Erlösung" bringen konnte.

Auf dem ersten allgemeinen Konzil in Nicäa (325) wurde dann die Gottheit Christi, also die göttliche Natur des ehemaligen Wandercharismatikers Jesus aus Nazareth, beschlossen – beschlossen! – und als göttliche Wahrheit verkündet. Wer diese Wahrheit nicht anerkannte bzw. sich weigerte sie zu glauben, wurde von der katholischen Kirche "verdammt" (s. hier) oder gar mit dem Tode bedroht! (s. hier) Letzteres geschieht heute zwar nicht mehr, dennoch ist die vor annähernd sechzehnhundert Jahren beschlossene "Wahrheit" auch in den heutigen Kirchen immer noch zentraler Glaubensinhalt.

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Prozess der Vergottung Jesu im Neuen Testament
Im Buch Was sich im Christentum ändern muss des amerikanischen Theologen und ehemaligen anglikanischen Bischofs John Shelby Spong (*1931) fand ich einen Hinweis auf einen speziellen Aspekt des Vergottungsprozesses in den Schriften des NT: In den maßgeblichen Schriften erfährt der Zeitpunkt der Zuerkennung der Gottessohnschaft in der ›Biografie‹ Jesu Christi eine stetige Zurückdatierung. Es lässt sich vermuten, dass von den frühchristlichen Verfassern jeweils eine weitere Steigerung der Glaubwürdigkeit der Jesu zugeschriebenen Gottnatur beabsichtigt war.

Der fortschreitende Vergottungsprozess ist schon in den ältesten Schriften des NT, in den Briefen des Paulus, dokumentiert. Im als echt geltenden Brief an die Römer heißt es im 1. Kapitel (Text in revidierter Fassung von 1984):

»1 Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,
2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen Schrift,
3 von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch,
4 und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten

Anmerkung
Hervorhebung stammt vom Autor der Site.

Für Paulus beginnt die Gottessohnschaft Jesu »durch die Auferstehung von den Toten«. D. h. mit diesem der Fantasie der frühen Christen entsprungenen Ereignis "offenbarte" sich ihm dessen Gottnatur. 

Darüber hinaus sei hier noch auf den als unecht geltenden Brief an die Kolosser bzw. an die Gemeinde in Kolossä (s. hier) hingewiesen, der vermutlich nach dem Tod des Paulus (um 64) geschrieben wurde. In krassem Widerspruch zum Brief an die Römer (s. oben) heißt es in Kol 1,15-17:

»15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
16 Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
17 Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.«

Vielleicht kannte Paulus eine derartirg Auffassung, hat sie sich aber nicht zu Eigen gemacht. Der Brief an die Römer gilt als "Testament des Paulus" (Gerd Theißen). Daher kann wohl angenommen werden, dass er darin die abschließende Fassung seiner persönlichen Glaubensmeinung hinterließ.

Im seinem Buch Die Krisis des Christentums schreibt der berühmte Altphilologe Wilhelm Nestle (1865-1959):

"Mit der Lehre des Paulus von Christus beginnt der verhängnisvolle Prozess der Vergottung Jesu, in dessen Verlauf die kultische Verehrung Christi immer mehr an die Stelle der Nachfolge Jesu trat."

Nach der ausführlicheren Betrachtung der Glaubensmeinung des Paulus und einer davon abweichenden Glaubensmeinung einiger seiner "Freundinnen und Freunde" folgt eine tabellarische Zusammenfassung der einschlägigen Überlieferungen in chronologischer Folge (Texte in revidierten Fassung von 1984).

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Zeitraum (n. Chr)
Quelle
Gottessohnschaft, göttliche Natur
55/56 Brief des Paulus an die Römer (1,1-4)
»4 …, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten.«
mit der Auferstehung
nach 70 Markusevangelium (1,9-11)
»9 Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan.
10 Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie ein Taube herabkam auf ihn.
11 Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.«
mit der Taufe
80-100 Matthäusevangelium (1,18ff)
»20 …, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist.«

Anmerkung
Die bei Matthäus auftauchende Geschichte von der jungfräulichen Geburt wird jetzt Teil der Tradition.
mit der Empfängnis ("Geistzeugung")
80-100 Lukasevangelium (1,26ff)
»34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?
35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.«

Anmerkung
Die Einsetzung in die Gottessohnschaft erfolgt bei Lukas wie bei Matthäus, jedoch ist "seine Darstellung konkreter und geschichtlicher."
mit der Empfängnis ("Geistzeugung")
100-120 Johannesevangelium (1,1ff)
»1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort
2 Dasselbe war am Anfang bei Gott.
3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
[…]
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.«

Anmerkung
In den Sach- und Worterklärungen im Anhang meiner Bibel (mit Konkordanz) steht u. a. "Ist Jesus das ›Wort‹, so wird damit bezeugt, dass in ihm wirklich Gott selbst den Menschen begegnet."
schon bevor die Welt existierte (Präexistenz)

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In den bisherigen Ausführungen zum Prozess der Vergottung Jesu spiegeln sich einmal mehr Fantasie und Erfindungsgabe der frühchristlichen Verfasser der zitierten Schriften. Sie sind gleichzeitig ein sehr anschauliches Beispiel für die häufig sehr unterschiedlichen bzw. widersprüchlichen Überlieferungen im Neuen Testament (NT), der "Heiligen Schrift" des Christentums.

Diese Tatsache ist für christliche Theologen jedoch kein Problem, insbesondere für die der römischen Konfession. Gehen doch letztere sogar davon aus, dass Gott persönlich "der Urheber [Autor] der Heiligen Schrift" (KKK 105) ist. Da für sie diese spekulative Glaubensmeinung dogmatischen Charakter hat, fällt es ihnen auch nicht schwer, bezogen auf das NT, folgende spekulative Schlussfolgerung hinzuzufügen: "Diese Schriften bieten uns die endgültige Wahrheit der göttlichen Offenbarung" (KKK 124). Angesichts solcher geistiger Verirrungen fallen einem nur noch Superlative ein: Hier zeigen sich ein nicht mehr zu steigerndes Ausmaß an theologischer Chuzpe und Anmaßung, sowie das Fehlen der leisesten Spur von intellektueller Redlichkeit. – (mehr zu den einschlägigen KKK-Artikeln s. hier). 

Der oben schon erwähnte anglikanische Bischof John Shelby Spong (*1931) äußerte sich, bezogen auf die urchristlichen Vordenker, distinguierter, wenngleich er sich einen subtilen satirisch-sarkastischen Unterton nicht verkneifen konnte:

"Man könnte versucht sein anzunehmen, dass es keinen früheren Zeitpunkt als die Empfängnis geben kann. Denkt man so, unterschätzt man den Scharfsinn der frühen christlichen Theologen.
Im zehnten Jahrzehnt der christlichen Zeitrechnung war Jesu Identität mit Gott vollständig geworden, dass man von ihm sagen konnte, er habe diese Identität sogar vor seiner Empfängnis und seiner Geburt."

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Die entscheidende Wandlung der Vorstellungen von Jesus

Erich Fromm (1900-1980) hat den Prozess der Vergottung Jesu in seinem Essay Das Christusdogma aus sozialpsychologischer Sicht ausführlich erörtert. Dieser Essay trägt den Untertitel Eine psychoanalytische Studie zur sozialpsychologischen Funktion der Religion. Damit ist bei Fromm der thematische Rahmen deutlich weiter gespannt als in dem hier angestrebten Format. Dennoch finden sich bei ihm Gedanken, die in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sind. Insbesondere arbeitet Fromm eine wichtige Wandlung der frühchristlichen Vorstellung von Jesus im Laufe des Vergottungsprozesses heraus. Vordergründig betrachtet vollzieht sich diese Wandlung auf dem Weg von der Glaubensmeinung des Paulus, über Zwischenstufen bei den Verfassern der synoptischen Evangelien, zu der ganz anderen Vorstellung der Verfasser des Johannesevangeliums. Letztere war dann die Ausgangsbasis für das "Christusdogma" der Folgezeit, das schließlich auf den Konzilien des 4. und 5. Jahrhunderts in seine endgültige, für alle Zukunft gültige, Form "gegossen" wurde.

Die Frage nach den Vorstellungen der ersten Christen von Jesus beantwortet Fromm mit einem Zitat aus dem Werk des Theologen Adolf von Harnack (1851-1930):

»Der Inhalt des Glaubens der Jünger Jesu und die gemeinsame Verkündigung, welche sie untereinander verband, lässt sich in folgende Sätze zusammenfassen: Jesus von Nazareth ist der von den Propheten verheißene Messias. – Jesus, nach dem Tode durch göttliche Auferweckung zur Rechten Gottes erhöht, wird demnächst wiederkommen und das Reich sichtbar errichten. – Wer an Jesum als den Christ glaubt, in der Taufe die Sündenvergebung empfangen hat und in die Gemeinde aufgenommen ist, Gott als Vater anruft, und in Kraft des Geistes Gottes nach den Geboten Jesu lebt, ist ein Heiliger Gottes und darf als solcher des ewigen Lebens und des Anteils am himmlischen Reich gewiss sein.«

Schon um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr. setzte eine Entwicklung ein, die zu einer entscheidenden Wandlung der Vorstellungen von Jesus führte. Diesen Prozess beschreibt Erich Fromm so:

"So wie sich das Christentum in jeder Hinsicht in den ersten drei Jahrhunderten seines Bestehens gewandelt und eine neue, der ursprünglichen entgegengesetzte Religion geworden war, so auch in Hinsicht auf den Glauben und die Vorstellung von Jesus. Im frühen Christentum herrschte die adoptianische Lehre, d. h. der Glaube, dass der Mensch Jesus zu Gott erhoben worden sei. Die Auffassung vom Wesen Jesu geht mit der fortschreitenden Entwicklung der Kirche immer mehr zum pneumatischen Standpunkt über. Nicht ein Mensch wird zu Gott erhoben, sondern ein Gott lässt sich zu den Menschen herab. Das ist die Grundlage der neuen Christusvorstellung, bis sie dann in der vom Nizänischen Konzil angenommenen Lehre des Athanasius ihren Höhepunkt findet: Jesus, der Sohn Gottes, aus dem Vater vor allen Weltzeiten geboren, eines Wesens mit dem Vater."

Fromm ergänzt seine Beschreibung der sich vollziehenden Wandlung um sozialpsychologische Aspekte:

"Das frühe Christentum war autoritäts- und staatsfeindlich. Es befriedigte in der Fantasie die revolutionären, vaterfeindlichen Wünsche der untersten unterdrückten Schichten. Das Christentum, das dreihundert Jahre später zur offiziellen Religion des römischen Imperiums erhoben wurde, hat eine völlig andere Funktion. Es soll eine Religion der Führer und der Geführten zugleich sein, der herrschenden Klassen und der von ihnen Beherrschten. Das Christentum erfüllt die Funktion, die Kaiser- und Mithraskult nicht annähernd so gut erfüllen konnten, die große Masse in das absolutistische System des römischen Imperiums einzuordnen. Die revolutionäre Situation, wie sie bis in das zweite Jahrhundert nach Christus geherrscht hatte, war verschwunden. Es tritt der wirtschaftliche Rückgang ein. Das Mittelalter begann sich zu entwickeln. Die wirtschaftliche Situation führte zu einem System von sozialen Bindungen und Abhängigkeiten, das politisch im System des römisch-byzantinischen Absolutismus gipfelte. Das neue Christentum stand unter der Führung der herrschenden Klasse. Das neue Jesusdogma war von ihr und ihren intellektuellen Vertretern, nicht von der Masse geschaffen und formuliert. Das Entscheidende war die Wandlung von der Vorstellung des zu Gott erhobenen Menschen zu der von dem zum Menschen gewordenen Gott."

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Der neue «Gott» Christus – Schirmherr eines absolutistischen Systems

Die eben angesprochene besondere Eignung des Christentums, "die große Masse in das absolutistische System des römischen Imperiums einzuordnen", hatte noch eine andere wichtige Veränderung zur Voraussetzung: den Aufbau der Kirche. So entstand in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ein autoritär-hierarchisches System innerhalb der christlichen Gemeinschaft, das ein "Spiegelbild der absolutistischen Monarchie des römischen Imperiums" war (s. hier).

Für die herrschende Klasse, zu der ab dem Beginn des 4. Jahrhunderts – nicht mehr nur im Einflussbereich der Kirche, sondern im gesamten römischen Imperium – selbstverständlich auch die Angehörigen der verschiedenen kirchlichen Hierarchiestufen gehörten, war eine sehr vorteilhafte Situation entstanden: Sie konnte ihren Herrschaftsanspruch vom neuen «Gott» Christus, dem Weltenherrscher, herleiten. Er war ein perfektes Instrument im Dienste von Machtentfaltung und Machterhaltung.

Der Theologe Gerd Lüdemann (*1946) sieht diese Instrumentalisierung Christi bis heute andauern. Gleichzeitig legt er überzeugend dar, dass die Kirchen mit ihrer tradierten Legitimation von Herrschaft zunehmend Probleme bekommen:

"Denn welches Verhältnis besteht zwischen dem Mann aus Nazareth und dem Weltenherrscher, zu dem ihn erst die späteren Gemeinden gemacht haben und als der er in der Kirche auch heute bekannt wird? Trotz der sich verändernden gesellschaftlichen Situationen über die Jahrhunderte hinweg ist doch der alte Machtanspruch des Christentums auf eine Anteilhabe an dieser Weltherrschaft noch heute anzutreffen. Dies geschieht, wie bereits erwähnt, in der schlichten Rezitation von Glaubensformeln, welche die Herrschaft Christi über Tod und Leben bekennen. Konnte dieser eigene Machtanspruch im Römischen Reich und durch das Mittelalter hindurch noch dazu dienen, die weltliche Herrschaft zu legitimieren, falls diese sich kirchenfreundlich verhielt, steht dieser Anspruch heute vor einem schweren Problem: der demokratischen statt der religiösen Legitimation von Herrschaft, der funktionalen Differenzierung innerhalb unserer modernen Gesellschaften und dem Ende des christlichen Monopols auf dem religiösen Markt."

Anmerkung
Das Zitat stammt aus dem Reader zu einem Workshop Lüdemanns zum Thema Die Weihnachtsgeschichten der Bibel – Fiktionen, Fakten, Fantasien, der am 1. Dez. 2003 stattfand.

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Jesus Christus – der Heiland der Welt?

Im jüdischen Glauben spielte die Vorstellung von dem eines Tages erscheinenden »Messias«, dem »Erlöser« des Volkes Israel, eine wichtige Rolle. Dabei wurde der »Messias« mit dem »Gottessohn« gleichgesetzt. Für die allerersten Christen, die ausnahmslos jüdischer Herkunft waren, galt Jesus als der von den Propheten verheißene »Messias«. Im Zuge der Ausbreitung des Christentums über Palästina hinaus, wurde im griechischen Sprachraum aus dem »Messias« der neue Eigenname »Jesus Christus« bzw. »Christus«. Parallel dazu wurde der »Sohn Gottes« selber zum »Gott«. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ursprünglich dem jüdischen Stammesgott bzw. dem christlichen (Vater-)Gott zugeschriebene Titel oder Eigenschaften auf »Jesus Christus« übertragen wurden. Einer dieser schon in der jüdischen Bibel gebrauchten Titel war »Heiland«.

Anmerkung
Die Übersetzung des Wortes »Messias« (hebräisch: Maschiach) ins Griechische ergab »Christos«. Später setzte sich die noch heute gebräuchliche lateinische Form »Christus« durch.

Im Folgenden sind einige der im Alten und im Neuen Testament enthaltenen Stellen zitiert, an denen der Titel »Heiland« in Verbindung mit »Gott« oder mit »(Jesus) Christus« erscheint (Zitate sind dem Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984 entnommen):

Psalm 85,5:
»hilf uns, Gott unser Heiland, …!«

Jesaja 43,11:
»Ich, ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland.«

Brief des Paulus an die Philipper 3,20:
»Unser Bürgerrecht ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus.«

Lukas 2,11:
»denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.«

Der ehemalige katholische Priester Peter de Rosa (*1932) weist darauf hin, dass schon Paulus »Christus« die Rolle des »Heilands« zuschrieb. In seinem Buch Der Jesus-Mythos schreibt er:

"Die Vorstellung vom einzigen Erlöser der Menschheit geht nicht auf Jesus zurück. Paulus hat sie aus dem Gedanken entwickelt, dass die Menschheit eins sei in Adam, der fiel, und eins in Christus, der auferstand. Er machte Christus zum Heiland aller Menschen, selbst derer, die vor ihm gelebt hatten. Die hellenischen Anhänger Jesu sahen ihn zum Teil als göttlich an, weil dies die Universalität der Erlösung erklärte."

Und die katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann (*1927) zeigt in Ihrem Buch Nein und Amen, dass die Vorstellung von einem göttlichen »Heiland« nicht nur jüdische Wurzeln hatte:

"Jesus war nicht der erste Heiland. Der griechische Gott der Heilkunde, Asklepios, lateinisch Aesculapius, der ebenfalls »Erlöser der Welt« […] genannt wurde, dessen Heiligtum in Epidaurus seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. das Lourdes der Antike war, überzog seit dem 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. die damalige Welt mit einem Netz von fast einem halben Tausend von Kultfilialen und Heilzentren, darunter z. B. auf Kos. Seine Tempel hingen voller Votivtafeln von dankbaren Geheilten, mit Angabe der Krankheit und des Heilmittels, das der Gott dem Kranken im Traum eines Heilschlafs geoffenbart hatte."

Es zeigt sich auch hier, dass die christlichen Glaubensinhalte keine original christlichen "Erfindungen" sind, sondern wohl ausnahmslos aus dem Gedankengut viel älterer antiker Kulturen des Orients und des griechisch-römisch geprägten Mittelmeerraums entlehnt wurden.

Anmerkung
In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie sehr die römische Konfession, bei der suggestiven Beeinflussung ihrer Gläubigen, bis heute auf die Wirkung archaischer Kulte setzt. Die meisterhaft inszenierte Darbietung von Illusionen ist so wirksam, dass die ahnungslosen "Schäfchen", in Lourdes und an vielen anderen Kultstätten und Heiligtümern weltweit, gar nicht mehr wahrnehmen, wie geschickt ihnen die von Rom ausgesandten "Hirten", so ganz nebenbei und ohne Skrupel, das Geld aus der Tasche ziehen  zum Wohle der "Una Sancta".

Mir fällt hier ein Wort des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa (1888-1935) ein: "Der Katholizismus ist der am besten organisierte Christismus, da er von allen Christismen der heidnischste ist." (s. auch hier)

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Vernichtende Kritik an der Vergottung Jesu
Im Buch Das Unheilige in der Heiligen Schrift des Theologen Gerd Lüdemann (*1946) fand ich Folgendes:

"Aber der vergottete Christus hat mit Jesus wenig zu tun. Das ahnen heutzutage immer mehr Christenmenschen, und darum wissen inzwischen wieder viele Kirchenfunktionäre. Darum gilt der Satz uneingeschränkt: »Die Leiche im Keller des Christentums ist der vergottete Jesus selbst« (Türcke 1996: 144)." (S. 123)

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Meinung eines frühen Kritikers über die Vergottung Jesu
Abschließend sei hier die Meinung eines prominenten Christentums-Kritikers des 4. Jahrhunderts zitiert, die ich im Buch Der gefälschte Glaube von Karlheinz Deschner (1924-2014) fand. Der römische Kaiser Julian (331-363), der von manchen als "Intellektueller auf dem römischen Kaiserthron" bezeichnet wird, und der sich sehr gründlich mit dem Christentum auseinandergesetzt hatte, äußerte sich ganz unmissverständlich über die Vergottung Jesu:

»Ihr seid so elend, dass ihr nicht einmal dem treu bleibt, was die Apostel euch überliefert haben … Weder Paulus noch Matthäus, noch Lukas, noch Markus haben Jesus Gott zu nennen gewagt. Vielmehr hat zuerst der wackere Johannes sich erkühnt, diese Bezeichnung zu gebrauchen, da er bemerkte, das bereits eine große Menge in vielen hellenischen und italischen Städten von dieser Krankheit ergriffen sei … Dieses eine Übel geht auf Johannes zurück. Wer aber könnte gebührend seinen Abscheu äußern über die vielen, die ihr noch hinzu erfunden habt?«

Unter dem Hauptmenüpunkt Historisches, im Abschnitt Dogmen und andere Glaubensmeinungen, sind weitere Aspekte der Vergottung Jesu angesprochen (s. hier).

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Sühnetod Christi – Versöhnung mit Gott, Erlösung der Gläubigen?

Die Erörterung dieses zentralen christlichen Glaubensinhaltes ist wegen ihres Umfanges auf eine eigene Seite ausgelagert:

>>>  Kreuz  <<<

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Schlussbemerkungen

Unglaubwürdige Glaubensinhalte – eine späte persönliche Erkenntnis
Was haben meine Recherchen ergeben? Ich stelle fest, dass der Mensch Jesus, der mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich gelebt hat, für mich "der große Unbekannte des Christentums" geblieben ist. Die Theologin Uta Ranke-Heinemann (*1927) gibt in ihrem Buch Nein und Amen Auskunft darüber, warum dies auch gar nicht anders sein könne:

"Denn die Evangelien eignen sich tatsächlich nicht als Grundlage einer Jesusbiografie. Die Evangelien haben Jesus verfremdet. Nicht den Menschen Jesus und sein reales Leben wollten sie darstellen, ihre Absicht ist vielmehr die Interpretation seiner Gestalt unter theologischen Leitideen wie Vergöttlichung und Sühneopfer. Und damit ist für sie z. B. Jesu menschlich psychologische Entwicklung – unerlässlich für jede Jesusbiografie – gleichgültig geworden. Jesus ist also, was sein konkretes Leben betrifft, der große Unbekannte des Christentums. Er ist als Mensch in dem theologischen Gebäude, mit dem man ihn überbaute, verloren gegangen oder abhanden gekommen. Mancher mag das bedauern."

Ganz ähnlich äußert sich der Philosoph Joachim Kahl (*1941). Dass "der sogenannte historische Jesus" (Martin Kähler) bis heute, trotz aller Bemühungen, nicht identifiziert werden konnte, erklärte er in seinem Buch Das Elend des Christentums kurz und bündig so:

"[...], da er hoffnungslos unter dem Schutt der Legenden und Mythen der Urchristenheit begraben liegt."

Über den "biblischen Christus" (Martin Kähler) weiß ich nun mehr. Wer von Jesus spricht, begeht, bewusst oder unbewusst, einen Etikettenschwindel: Seit nahezu zweitausend Jahren kann ehrlicherweise immer nur von »Christus« die Rede sein. Ich habe eine Vorstellung davon, wie diese "Kunstfigur" (Hubertus Halbfas), unter den gesellschaftlichen Randbedingungen der Spätantike, entstanden ist. Darüber hinaus habe ich eine Vorstellung davon, auf welch fragwürdige und widersprüchliche Überlieferung das organisierte Christentum bis heute seine "Verkündigung" der "Heilsbedeutung Christi" gründet. Ich kann jetzt nachvollziehen, was der Theologe Hans Conzelmann (1915-1989) mit der folgenden Feststellung meinte:

"Die Kirche lebt davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind."

Das neue Wissen löste Staunen bei mir aus. Ein Staunen darüber, dass ich in meiner eigenen Vergangenheit diese Figur tatsächlich einmal für "wahr" gehalten habe. Und ich verstehe immer weniger, dass die Kirchen diesem Kunstprodukt bis heute, ganz unverhohlen, um nicht zu sagen: unverfroren, eine zentrale Rolle in den von ihnen verbreiteten Glaubensmeinungen zugestehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass manche "Gläubige" von ihren "spirituellen Erfahrungen" mit dieser Figur sprechen.

Mir scheint, dass die führenden Köpfe der Kirchen, nach wie vor, bewusst oder unbewusst, nicht auf ihre Anteilhabe an der dem neuen christlichen Gott zugeschriebenen "Weltherrschaft" verzichten wollen. Da verwundert es nicht, dass der Münchener Theologe Friedrich Wilhelm Graf (*1948) erst kürzlich äußerte (FAZ vom 19.05.2009):

"Eine irritierende Entwicklung lässt sich beobachten: Je mehr die tiefe Glaubenskrise und die schleichende Erosion der beiden Volkskirchen sichtbar werden, desto mehr setzen viele Kirchenführer auf Klerikalmacht."

Ich bin überzeugt davon, dass das arrogante, ganz und gar unglaubwürdige, ja geradezu lächerliche Gebaren mancher Vertreter der Kleriker-Kaste den Prozess des stetigen Niedergangs des organisierten Christentums nicht nur nicht aufhalten, sondern nachhaltig beschleunigen wird.

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Die Geschichte Jesu Christi – Symbol der Liebe?

Das oben schon erwähnte Buch Religionskritik enthält auch einen Beitrag des deutsch-amerikanischen Philosophen Walter Kaufmann (1921-1980). Kaufmann, der einer zum Christentum übergetretenen jüdischen Familie entstammte und im Alter von 11 Jahren zur Religion seiner Vorfahren zurückgekehrt war, setzt sich darin kritisch mit wesentlichen Aspekten des Christentums auseinander. Für den hier betrachteten Zusammenhang vermitteln einige seiner Gedanken über den (unfreiwilligen) Stifter und die ihm nachgefolgten Vordenker der christlichen Religion wichtige, nachvollziehbare Einsichten:

"Man könnte einwenden, dass die Geschichte Jesu das denkbar beste Symbol der Liebe darstellt. Aber tut sie das? Man betrachte diese Geschichte einmal so, wie sie für jemanden erscheint, der nicht als gläubiger Christ von vornherein vom Christentum eingenommen ist: Gott bewirkte, dass eine mit Joseph verlobte Jungfrau seinen eigenen Sohn empfing, und dieser Sohn musste, nachdem verraten und gekreuzigt, wieder auferstehen, damit alle jene (und nur jene) gerettet werden können, die zum einen diese Geschichte glauben und zum anderen getauft werden und bei regelmäßigen Gelegenheiten das essen und trinken, was nach ihrer eigenen Überzeugung das Fleisch und Blut dieses Sohnes – bzw. nach einigen Konfessionen lediglich Symbol seines Fleisches und Blutes – ist. Der Rest der Menschheit dagegen erleidet ewige Qualen; ja, nach Auffassung zahlreicher christlicher Bekenntnisse und Glaubenslehrer sind die davon Betroffenen von Anfang an von Gott für die Verdammnis vorherbestimmt.

Vielleicht würde man sich trotz alledem für das Christentum entscheiden, wenn man den großen Christen, die nach Jesus kamen, höchste Bewunderung entgegenbringen könnte. Aber Petrus und Paulus, Athanasius und Augustinus, Luther und Calvin scheinen mir trotz all ihrer nicht zu leugnenden Verdienste viel weniger bewundernswert als Hosea und Micha, Jesaja und Jeremias, Hillel und Akiba oder auch Buddha, Sokrates und Spinoza. Der mittelalterliche jüdische Philosoph Maimonides glaubte zum Unterschied von dem unter seinem Einfluss stehenden Thomas von Aquin weder an die ewige Verdammnis noch daran, dass Ketzer hingerichtet werden müssen."

In seinem Buch Der Glaube eines Ketzers vertieft Walter Kaufmann seine, in den vorgenannten Zitaten enthaltenen, Gedanken über das (vermeintlich) christliche Prinzip der Liebe und über die diesem Prinzip diametral entgegenstehende Glaubensmeinung von der Prädestination:

"Es ist eine Ironie des Schicksals – obgleich es Parallelen gibt – , dass Jesu Ablehnung aller Formeln und Regeln innerhalb einer Generation dem – noch heute nicht abgeschlossenen – Versuch weichen musste, präziseste Dogmen auszuarbeiten. Es ist doppelt ironisch, weil nach den Evangelien Jesus ständig gegen Heuchelei gewettert hat: Durch die Evangelien sind die Wörter Pharisäer und Heuchler Synonyme geworden. Und doch ist die in einem Legalismus, der Liebe und Gerechtigkeit betont, mögliche Heuchelei ein Splitter im Vergleich mit der Heuchelei, die sich breitmachen kann, wo Dogmen und Sakramente im Mittelpunkt stehen. Wenn, »wer mich isset, um meinetwillen« leben wird (Johannes 6,57), warum sollte man sich die Mühe machen, seine Feinde zu lieben?
[...]
Als Paulus der alten Auffassung, dass dem reuigen Sünder vergeben werde, den Rücken wandte und die Lehre von der Prädestination aufgriff, gab er damit die Idee der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen auf. Um nochmals Troeltsch zu zitieren: »Der prädestinationische Gedanke zerbricht den Nerv der absoluten und abstrakten Gleichheitsidee«, und von da an werden »Ungleichheiten … positiv aufgenommen in den soziologischen Grundgedanken des Wertes der Persönlichkeit«."

In den letzten Zitaten Kaufmanns wird eine, dem organisierten Christentum – von Anfang an – innewohnende Problematik erkennbar, die es den Christen schwer macht ungeheuchelte »Liebe zu üben«: die geradezu institutionalisierte Widersprüchlichkeit der überlieferten Glaubensmeinungen und die knechtische Vergötzung urchristlicher "Autoritäten". Gleichzeitig legt er hier kräftige Wurzeln christlicher Selbstgerechtigkeit und Intoleranz frei.

Die Überlegungen Kaufmanns verwundern niemand, der auch nur ein minimales Wissen vom Christentum, von seinen zentralen Glaubensmeinungen und seinen historischen und aktuellen Vordenkern hat. Für mich ist er ein glaubwürdiger Religionskritiker, weil er als Jude auch seine eigene Religion kritisch würdigt und diese am Ende ebenfalls als nicht akzeptabel ablehnt.

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Kann man zu einem "unsicheren Fantasieprodukt" beten?

Der Pädagoge und Theologe Gustav Wyneken (1875-1964) enthüllt in seinem Buch Abschied vom Christentum m. E. den Kern der Fragwürdigkeit christlichen Glaubens, wenn er sagt:

"Besonders schwierig wird es, mit der viel berufenen Liebe zu Jesus einen klaren Sinn zu verbinden. Jesus ist eine geschichtliche Persönlichkeit, uns bekannt, wie wir gesehen haben, durch eine höchst fragwürdige Überlieferung. Kann man eine literarische Gestalt lieben, ihr vertrauen, zu ihr beten? Muss nicht dem allen immer die Bedingung vorgeschaltet bleiben: vorausgesetzt, dass die Überlieferung wahr ist? Es ist, wie wir gesehen haben, mindestens keine Selbstverständlichkeit. In Wahrheit ist und bleibt es ein unsicheres Fantasieprodukt, das hier zum «Gott» erhoben wird, selbst dann, wenn die (widerspruchsvolle und lückenreiche) Überlieferung in den Hauptzügen wahr wäre."

Hier drängen sich Parallelen zu "literarischen Gestalten" eines modernen Genres, der Fantasy, auf. Das Angebot dieser Literaturgattung umfasst unzählige märchen- und mythenhafte "Kunstfiguren", die in bizarren Traumwelten agieren.

Ein Anonymus der – wahrscheinlich im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts – die religionskritische Schrift Traktat über die drei Betrüger verfasste, formulierte darin eine ganz ähnliche, noch radikalere, Position zu der vom Christentum um seine Zentralfigur gesponnenen mythischen Erzählung als Gustav Wyneken:

"Kein wahrer Gelehrter wird die Wahrheit zu verletzen meinen, wenn er feststellt, das die Geschichte Jesu Christi ein verachtungswürdiges Märchenª und sein Gesetz bloß ein Hirngespinst ist, das durch Unwissenheit verbreitet, vom eigennützigen Interesse erhalten worden ist und von der Tyrannei unter Schutz gestellt wird.

ª So urteilte Papst Leo X., wie es aufgrund dieses bekannten wie kühnen Wortes (in einem Jahrhundert, in dem der philosophische Geist noch so wenige Fortschritte gemacht hatte) den Anschein hat: Man weiß seit unvordenklichen Zeiten, sprach er zum Kardinal Bembo, welchen Nutzen uns dieses Märchen eingetragen hat."

Anmerkungen
- "Die drei Betrüger" des Anonymus sind Mose, Jesus und Mohammed.
- Leo X. (1475-1521) bestieg den Papstthron im Jahr 1513.
- Pietro Bembo (1470-1547) war zeitweise ein enger Mitarbeiter Leos X., wurde aber erst 1539 zum Kardinal erhoben.

Mir ist nicht bekannt, ob Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) die eben erwähnte Schrift aus der Frühaufklärung oder den Leo X. zugeschriebenen Ausspruch kannte, jedenfalls gibt es von ihm zum hier beleuchteten Thema folgende Äußerung:

"Das Märchen von Christus ist Ursache, dass die Welt noch 10000 Jahre stehen kann und niemand recht zu Verstande kommt, weil es ebensoviel Kraft des Wissens, des Verstandes, des Begriffes braucht, um es zu verteidigen, als es zu bestreiten."

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Der erfundene Weltenherrscher – "eine tragikomische Figur"

In seinem Buch Weltlicher Humanismus macht Joachim Kahl (*1941) deutlich, wie unglaubwürdig und "geschrumpft" die Zentralfigur des Christentums erscheint, wenn man sie auf dem Hintergrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ausdehnung und Struktur des Kosmos betrachtet. Er bezieht sich dabei u. a. auf eine "christologische Pathosformel" in einem unechten Jesuswort aus dem Matthäusevangelium:

"Unser Wissen über den Aufbau des Weltalls untergräbt nicht nur die christliche Schöpfungslehre. Der christliche Erlösermythos steht nicht wesentlich glaubwürdiger da. Gott sei Mensch geworden und habe die Welt erlöst durch den Opfertod Jesu Christi am Kreuz auf Golgatha, so geschehen auf einem winzigen Planeten, der Erde, angesiedelt im Arm einer gewöhnlichen Spiralgalaxie. Es gibt Abermilliarden solcher Galaxien.

Vor solcher Kulisse wirken christologische Pathosformeln wie die aus dem »Missionsbefehl« geradezu lächerlich: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.« (Matthäus-Evangelium 28,18). Der vermeintliche Herr und Richter der Welt, der alsbald zurückkehren wollte, schrumpft zusammen zu einer tragikomischen Figur aus dem Lande Liliput."

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Jesus von Nazareth – die am meisten überschätzte Figur der Weltgeschichte?
Der kritische Theologe Heinz-Werner Kubitza (*1961) fasst in seinem Buch Der Jesuswahn in überzeugender Weise zusammen, wie die "Figur", um die sich im Christentum alles dreht, eigentlich zu sehen ist. Dabei spannt er den Bogen vom weitestgehend unbekannten historischen Jesus von Nazareth zur "Kunstfigur" Christus:

"Jesus von Nazareth muss gesehen werden als einer von vielen Vertretern eines apokalyptisch bestimmten Judentums. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, die wundersamen Legenden über seine Geburt verdienen diese Bezeichnung eigentlich nicht, denn es findet sich in ihnen kein historischer Kern. Allesamt sind sie fromme Erfindungen, […]. Sie verdanken ihre Existenz dem verständlichen Wunsch, den religiösen Führer auch mit einer bedeutenden Geburt und Kindheit auszustatten.
[…]
Der Kern der Verkündigung Jesu ist die Lehre von der unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft, die Wende der Geschichte durch ein Eingreifen Gottes und die Aufrichtung einer nicht jenseitig, sondern irdisch gedachten Königsherrschaft Gottes. […] Denn das Reich Gottes ist nicht gekommen, es ist auch nach 2000 Jahren nicht da. Jesu Prophezeiung war Falschprophetie.
[…]
Wir haben das Leben eines frühjüdischen Apokalyptikers vor uns, der ganz und gar im Judentum lebte und als Jude am Kreuz gestorben ist. Es ist das historische Grundmissverständnis der christlichen Kirchen, dass dieser Jesus von Nazareth auch nur irgendetwas mit dem Christentum zu tun hat. Und es ist eines der historischen Generalparadoxa, dass ausgerechnet er zur Stifterfigur einer Kirche wurde, die das Judentum mehr als alle anderen Religionen bekämpft und unterdrückt hat.
[…]
Es ist grotesk und Ausdruck einer ungeschichtlichen Gefühlsduselei, dass heute überall auf der Welt fromme Christen in Bibelkreisen der Frage nachgehen, wie seine Worte »heute zu verstehen sind«, was er uns »gerade heute sagen will«, und dass sein Wort allsonntäglich von den Kanzeln »für uns heute« ausgelegt wird. Dieser Jesus kannte uns nicht, wir waren weit außerhalb seines Horizonts. Er hatte kein Wort für uns.
[…]
Der paulinische Einfluss und die Dominanz des Heidenchristentums, später dann die altchristlichen Konzilien haben das Ihrige getan. Am Ende stand ein Christusbild, welches mit dem historischen Jesus nicht mehr das Geringste zu tun hatte. Die Kirchen glauben an eine von ihnen selbst geschaffene Fiktion und halten diesen Glauben für eine Tugend.
[…]
Soll ein solcher Jesus für die heutige Zeit zum Maßstab werden, ein Gerichtsprediger, Höllenverkünder, ein religiöser Radikalist und Fundamentalist? Oder soll man sich in unserer Gesellschaft nicht doch eher an Werte wie Toleranz und Meinungsfreiheit halten? Sind dieser Jesus und die angeblich in seiner Lehre transportierten Werte wirklich so wichtig für ein menschliches Zusammenleben, wie uns das die Kirchen seit zweitausend Jahren predigen? […] Sieht man Jesus in den Grenzen seiner Religion, seiner eigenen Religion, wird schnell seine Begrenztheit deutlich, bei allen durchaus positiven Anschauungen, die dieser Apokalyptiker auch gehabt hat. Jesus von Nazareth dürfte die am meisten überschätzte Figur der Weltgeschichte sein."

Anmerkung
Hervorhebungen im Zitat stammen vom Autor der Site.

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Der historische Jesus – geistesgeschichtlich missbraucht?
Am Ende dieses Menüpunktes folgt ein weiteres Wort des Theologen Heinz-Werner Kubitza (*1961). Er beschreibt in seinem o. g. Buch kurz und eindrücklich den unrühmlichen Missbrauch des historischen Jesus. Dieser wurde von Paulus (†65) und den weiteren – unbekannten – Schöpfern der neuen Religion begonnen und wird in den verschiedenen christlichen Konfessionen bis heute unverdrossen fortgesetzt:

"Der historische Jesus war ein Jude unter Juden, […]. Das sein Leben herhalten musste, um seine jüdische Religion aus den Angeln zu heben, hätte er sicher nicht verwunden. Die Beförderung Jesu von einem frommen Juden zum ersten Christen war nicht weniger als eine geistesgeschichtliche Vergewaltigung. Nur gut, dass Jesus dies nicht mehr erleben musste."

Während wir nicht mit allerletzter Sicherheit sagen können, dass der Mensch Jesus gelebt hat, wissen wir eines mit absoluter Sicherheit: Der nach ihm benannte »biblische Jesus« alias »Christus« hat nie existiert. Er ist ein Fantasieprodukt spätantiker religiöser Enthusiasten.

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