Absolutheitsanspruch
These
Das Christentum
muss sich, will es mehr
Glaubwürdigkeit gewinnen, auch
und zuallererst vom
Absolutheitsanspruch verabschieden.
Inhalt
Vorbemerkungen
Hätte mich
jemand vor noch nicht allzu langer Zeit nach meiner Haltung zum
Absolutheitsanspruch der Religionen, speziell des Christentums,
gefragt, hätte ich wohl einigermaßen
verständnislos reagiert. Ich hätte diese Frage zu
Beginn des 21. Jahrhunderts vielleicht für nicht mehr relevant
gehalten.
Die von mir zunehmend wahrgenommenen aggressiven fundamentalistischen
Strömungen, sowohl auf islamischer als auch auf christlicher
Seite, aber auch völlig unkritische
Äußerungen von christlich-theologischer Seite
über den "exklusiven
Absolutheitsanspruch" der Religionen bzw. deren "Anspruch auf absolute Wahrheit",
haben mich eines Besseren belehrt.
Der entscheidende Motivationsschub, mich eingehender mit diesem Thema
auseinander zu setzen, ergab sich durch die mir bekannt gewordene
Auffassung eines zeitgenössischen protestantischen Theologen
(s. unten).
Dieser Motivationsschub reichte
sogar weiter: Er gab mir den entscheidenden Anstoß, mich auch
mit anderen Teilaspekten meiner Religion intensiver zu
beschäftigen. Ohne ihn gäbe es
diese Website nicht.
Absolutheit des
Christentums – Modelle von Absolutheit
Der Theologe Ernst Troeltsch (1865-1923) soll
mit seiner 1902 erschienenen Schrift Die Absolutheit des Christentums
und die Religionsgeschichte den Begriff des
Absolutheitsanspruchs des Christentums erstmals in den theologischen
Diskurs eingeführt haben.
Ich vermag dies nicht zu
verifizieren. Sollte dies so zutreffen, wäre eine seit nahezu
zwei Jahrtausenden für das organisierte Christentum geltende
Handlungsmaxime erstaunlicherweise erst zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts begrifflich gefasst worden!
Modelle von Absolutheit
Beim Theologen Matthias
Kroeger (*1935)
fand ich folgende "Modelle von Absolutheit" (für das
Christentum):
a) Das Christentum ist die wahre Religion, alles
andere ist Götzenverehrung.
b) Auf der Stufenleiter oder Pyramide der
Religionen ist das Christentum die höchste Stufe und Spitze
der Pyramide.
c) Auch Menschen anderer Religionen erfahren das
Heil Gottes, doch bleibt Jesus Christus die endgültige,
universale, unüberbietbare und normative Erfüllung
des göttlichen Heils.
Aus einer
einschlägigen Dogmatik
Dass ich hier nicht im
"luftleeren Raum" diskutiere, sei anhand eines Zitats aus einem
Handbuch / Lehrbuch(!) für Theologen aufgezeigt, aus der Dogmatik des
Theologen Wilfried Härle (*1941):
"Ich gebrauche nun bewusst nicht
mehr die irreführende Formel vom »Absolutheitsanspruch
des
Christentums«,
sondern spreche von der Absolutheit, d. h. von der
(universell gültigen) Wahrheit der Gottesoffenbarung in Jesus
Christus, also des in ihm von Gott her erschlossenen umfassenden
Wirklichkeitsverständnisses. Die Anerkennung und Behauptung
dieser Absolutheit ist für den christlichen Glauben nicht nur
angemessen, sondern unverzichtbar. Denn es geht dabei um nicht mehr und
nicht weniger, als um die Wahrheit und um die damit gegebene
Tragfähigkeit der christlichen Botschaft. Diese bezeugt ja
Jesus Christus als die Offenbarung des Wesens Gottes, die als solche
das Fundament des – als wahr geglaubten –
christlichen Wirklichkeitsverständnisses ist.
Deswegen, und nur deswegen gilt für den christlichen Glauben
das »solus
Christus«,
weil in ihm die heilsame
Wahrheit, die weder reduzierbar noch
ergänzungsbedürftig ist, erschienen ist. Dagegen wird
die christliche Botschaft mit den (relativierenden) Aussagen: »Jesus
Christus ist eine heilsame Wahrheit«
oder: »Er
ist ein
Weg zum Leben«
hoffnungslos unterbestimmt. Und dies
ist deshalb als unangemessen zurückgewiesen, weil damit eine Distanzierung
von der erschlossenen Wahrheit zum Ausdruck kommt, die mit deren
Absolutheitsanspruch unvereinbar ist."
Durch einen theologischen Kunstgriff
wird aus dem Absolutheitsanspruch des Christentums der
Absolutheitsanspruch bzw. die "Absolutheit" der "(universell
gültigen) Wahrheit der Gottesoffenbarung in Jesus
Christus"(!). Härle zeigt sich demnach als Anhänger
des Absolutheitsmodells c).
Wenn man sich vor Augen hält, dass aus dem Menschen Jesus
durch einen, im antik-hellenistischen Umfeld nicht
ungewöhnlichen, Vergottungs-Prozess (s. Erich Fromm) zwischen dem
1. und 4. Jahrhundert die "Kunstfigur" des göttlichen Christus
wurde – ein Produkt menschlicher Fantasie also –,
dann zeugt dieses Zitat m. E. von kaum zu überbietender
Anmaßung und von einem erschreckenden Mangel an
intellektueller Redlichkeit. W. Härle zeigt sich hier als
typischer Insider des theologischen "Denk-Gettos" (s.
hier).
Ernst Troeltsch (1865-1923)
hätte vielleicht gesagt, der (Absolutheits-)"Wahn" habe sich
hier zu einer abstrusen Theorie verdichtet (s. auch
hier).
Auffassung eines
zeitgenössischen protestantischen Theologen
Der Newsletter meiner evangelischen
Landeskirche, vom 12. Mai 2005, enthielt u. a. den Bericht
über einen Vortrag ihres führenden Theologen zum
Thema "Christentum und Islam". Unter den zusammenfassend
wiedergegebenen Kernaussagen des Vortrags war mir diese ganz besonders
aufgefallen: "Zu jeder Religion gehöre der exklusive
Absolutheitsanspruch und dieser sei im Christentum wie im Islam und
Judentum vorhanden". Da Pressemitteilungen oder Newsletters manchmal
auch Missverstandenes verbreiten, wollte ich mir direkt beim Urheber
Gewissheit verschaffen.
Meine schriftliche Anfrage:
"Vorausgesetzt, dass Sie korrekt
zitiert worden sind, beschäftigt mich die Frage, ob Sie damit
eine (bedauerliche) Zustandsbeschreibung gegeben haben, oder ob dies
auch Ihre persönliche Auffassung widerspiegelt."
beantwortete
er u. a. mit folgenden Feststellungen:
"Ich bin Gott sei Dank korrekt
zitiert worden und ich beschreibe nicht einen Zustand, sondern vertrete
meine persönliche, auch durch wissenschaftliche
Bemühungen fundierte, Auffassung. […]
Ein Christentum, das auf den Anspruch auf absolute Wahrheit verzichtet,
fällt ebenso in sich zusammen, wie ein Islam oder ein
Hinduismus oder ein Buddhismus oder irgendeine andere Religion."
M. E. bringt der Schreiber hiermit
– unfreiwillig – zum Ausdruck, dass das Christentum
über keinerlei überzeugende Argumente verfüge und daher
auf die Krücke "Anspruch auf absolute Wahrheit" angewiesen sei, um
nicht in sich zusammenzufallen. Ganz abgesehen davon,
dass die Auffassung des Schreibers von sehr wenig Vertrauen in die
Standfestigkeit der
eigenen Religion zeugt, halte ich sie für völlig absurd.
Erklären lässt sich diese Haltung wohl nur durch dogmatische
Verblendung: Wer sich im Besitz der, von Gott persönlich geoffenbarten, absoluten Wahrheit wähnt, sucht nicht nach Argumenten.
Warum lehne ich den
Absolutheitsanspruch des Christentums/der Religionen ab?
Für mich ist es
für die folgenden Überlegungen unerheblich, welchem
der o. g. Modelle die Verfechter des Absolutheitsanspruchs des
Christentums folgen. Alle Modelle, und die auf ihnen basierenden
dogmatischen Aussagen (s. Härle),
sind geprägt von infantilen Überlegenheitsfantasien.
Absolutheitsanspruch
entspringt menschlichem Machtstreben
Der Absolutheitsanspruch meiner und der anderer Religionen ist mir
schon deshalb äußerst suspekt, weil er ganz
offenkundig, in undatierbarer Vergangenheit, dem menschlichen Streben
nach Macht und (Vor-)Herrschaft entsprungen ist. Dasselbe Grundmuster
liegt totalitären gesellschaftlichen Ideologien zu Grunde.
Absolutheitsanspruch
unhaltbar – historisch-kritisch betrachtet
Die historisch-kritische Forschung hat gezeigt, dass die
religiösen und ethischen Vorstellungen, die in den Schriften
des Neuen Testaments Jesus zugeschrieben werden, nichts bieten was
spezifisch "christlich" wäre. Sie sind ausnahmslos anderen
orientalisch-hellenistischen Religionen und den Lehren antiker
griechischer Philosophen entlehnt (s. Karlheinz
Deschner). Kurz: Die wesentlichen Bestandteile der von den
Kirchen gelehrten Glaubensmeinungen entstammen
dem ethischen, kultischen und mythischen Erbe der Menschheit.
Die christliche Religion stellt also
lediglich ein denkbares Produkt der verschiedenen
religiösen, ethischen und kulturellen Entwicklungslinien der
Menschheit dar. Auf diesem Hintergrund lassen sich weder der Anspruch
des Christentums auf "absolute Wahrheit" noch die Exklusivität
seines Heilsweges zu Gott weiter aufrechterhalten.
Absolutheitsanspruch
und Erwähltheitsfantasien – eine "unheilige Allianz"
Dem Absolutheitsanspruch eng verwandt erscheint mir die in den
Religionen auftretende Vorstellung von der "Erwähltheit" ihrer
Gläubigen. Hier sei stellvertretend für
ähnliche Fundstellen, durch die schon im frühen
Christentum eine verhängnisvolle Weichenstellung erfolgte, aus
dem deuteropaulinischen
Epheser-Brief zitiert (Eph 1,4): "Denn in ihm (Anm.: in
Christus) hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund
gelegt war, …" M. E. ist jede der beiden Vorstellungen geeignet, die
jeweilige Religion auf die Stufe von Ideologie und Sektierertum
herabzuwürdigen.
Anspruch
auf absolute Wahrheit – Ergebnis einer Fehlspekulation
Ein Absolutheitsanspruch ließe sich von einer Religion m. E.
nur dann erheben, wenn sie in der Lage wäre, plausibel
darzustellen, im Besitz der letzten, der reinen, der absoluten, der
"göttlichen" Wahrheit zu sein. Eine absolute Wahrheit dieser
Art würde jedoch voraussetzen, dass wir das, was wir
«Gott» nennen, erkennen, in all seinen Dimensionen
fassen und zweifelsfrei beschreiben könnten! Dass dies niemand
vermag, kommt sehr gut in einem Wort Dietrich Bonhoeffers (1906-1945)
zum Ausdruck: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht."
Anmerkung
Dass ich das aus Akt
und Sein stammende Bonhoeffer-Zitat hier
wahrscheinlich nicht ganz im Sinne des Urhebers gebrauchte, darauf
stieß ich erst sehr viel später (s. hier). Ich
lasse es dennoch stehen.
Dass die vom organisierten Christentum über Jahrhunderte mit
allen Mitteln seiner weltlichen (Über-)Macht verteidigten
"absoluten" Wahrheiten – z. B. über die Konstruktion
dieser Welt – keinen dauerhaften Bestand haben konnten,
wissen wir spätestens seit der »Kopernikanischen Wende«.
Die Aufklärung förderte und vertiefte dieses Wissen.
Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) sagte:
"Vom Übersinnlichen ist, was das spekulative Vermögen
der Vernunft betrifft, keine Erkenntnis möglich."
Folge des
Absolutheitsanspruchs: eine breite Blutspur durch die Geschichte
Seit dem 4. Jahrhundert bis in die jüngere Vergangenheit zogen
viele der "vornehmsten" Repräsentanten des Christentums in
seinem Namen eine breite Blutspur durch die Geschichte. Sie zeugt von
der verhängnisvollen Wirkung des Absolutheitsanspruchs. Man
denke nur an die unzähligen Opfer der Ketzerverfolgungen, der
Kreuzzüge, der Inquisition, der Hexenverbrennungen, der
Christianisierung Mittel- und Südamerikas.
Eindrücklicher lässt sich die völlige
Abwegigkeit dieses absurden Anspruchs nicht dokumentieren.
(s. auch Nachtrag
zum Absolutheitsanspruch)
Anderen
Religionen einen analogen Anspruch zugestehen?
Herausforderung an Logik und
Sprachverständnis
Schon Logik und Sprachverständnis lassen es für mich
problematisch erscheinen, "exklusive" Absolutheit, die, unbefangen
betrachtet, etwas Unteilbares, nicht mehr Steigerungsfähiges
bezeichnet, mehreren Positionen gleichermaßen zuzubilligen.
Zugeständnis des
Absolutheitsanspruchs produziert Scheintoleranz
Den anderen Religionen einen Absolutheitsanspruch zuzugestehen, den ich
für meine Religion als selbstverständlich definiert
habe, erscheint mir als sehr bequeme Haltung: Sie erleichtert mir, eine
selbstkritische Überprüfung meines Anspruchs zu
vermeiden, und sie unterbindet gleichzeitig eine mögliche
kritische Analyse dieses Anspruchs durch die anderen. Eine gemeinsame
konstruktive Reflexion findet nicht statt.
Anders ausgedrückt:
christliche Theologen billigen anderen Religionen sehr
großzügig das zu, wovon sie sich auf gar keinen Fall
verabschieden wollen. Die, unabhängig vom favorisierten
"Modell der Absolutheit" (s. o.), vorhandenen
Überlegenheitsfantasien werden nicht hinterfragt. Eine
geeignete Basis für einen ernsthaften Dialog mit anderen
Religionen wird so nicht hergestellt. Es wird allenfalls eine
Scheintoleranz erzeugt, die in Wirklichkeit der, auch unter Christen
weit verbreiteten, Intoleranz nicht nur nicht entgegenwirkt, sondern
sie eher fördert.
Selbstrelativierung ist
Vorbedingung jeder wirklichen Toleranz
Ausgehend von den bisher angestellten Überlegungen ist es
längst überfällig, dass das organisierte
Christentum, die christlichen Kirchen, Rechenschaft darüber
ablegen, was auf ihrem bisherigen Weg schief gegangen ist, was daraus
gelernt werden muss. Mein Eindruck ist, dass dies unterblieben ist und
noch unterbleibt aus Angst vor unbequemen Wahrheiten. Diese Weigerung,
elementaren Forderungen intellektueller Redlichkeit zu entsprechen,
bereitet den Boden für eine Verfestigung von Intoleranz.
Denn m. E. trifft zu was der
Ägyptologe Jan
Assmann (*1938) in seinem Buch Die Mosaische Unterscheidung
– Oder der Preis des Monotheismus u. a.
feststellt:
"Die Fähigkeit zur
Selbsthistorisierung und Selbstrelativierung ist Vorbedingung jeder
wirklichen Toleranz." (S. 29)
Wo diese Fähigkeit
vorhanden ist, ist kein Platz für
Absolutheitsansprüche und Erwähltheitsfantasien
– dies gilt für alle Religionen.
(s.
auch Noch ein Nachtrag zum
Absolutheitsanspruch)
Stimmen aus
Theologie und Philosophie
Ich fand bei meinen Recherchen in
der einschlägigen Literatur Hinweise, die mich in meiner
Einschätzung des Absolutheitsanspruchs bestärkten.
Der Theologe Ernst Troeltsch
(1865-1923)
reflektiert die Absolutheit des Christentums eingehend in seinem Buch Die Absolutheit des
Christentums und die Religionsgeschichte. Er
führt aus, dass die Absolutheit ein allgemeines Merkmal des
naiven Denkens sei und erst mit ihrer Brechung werde das eigentliche
Denken eröffnet. Im Verlaufe der Geschichte sei aus der naiven
Absolutheit eine künstliche, apologetische geworden, die in
eine theologische Theorie mündete. Er führt weiter
aus:
"Denn wo dieser Wahn im vollen
Ernst zu Theorien sich verdichtet hat, da fällt eine
doktrinäre Starrheit und bleiche Kälte auf die
Religion, vor der das ahnungsvolle Halbdunkel entweicht, in dem sich
allein die belebenden Kräfte der Religion mitteilen, in dem
erst der Mensch seiner Kleinheit und Enge gewahr wird, und in dem er
durch Ahnung und Glauben erst seine wahre Größe
fühlt. Oder es ergibt sich ein harter Fanatismus, der Milde
und Weite vergisst und alle zu dem zwingen will, was man so sicher
weiß und besitzt. Eben daher hat auch die lebendig aus Gott
sprechende Frömmigkeit niemals solche Theorien vorgetragen;
sie hat die einfache Entscheidung für oder wider verlangt und
die absolute Wahrheit der Zukunft, dem Ende der Geschichte,
vorbehalten." (S. 96/97)
An anderer Stelle fasst er
zusammen:
"Entscheidend ist darum nicht mehr
der Absolutheitsanspruch,
sondern die in Art und Stärke des Anspruchs widergespiegelte
Sache, die religiös-ethische Ideen- und Lebenswelt selbst.
Nicht aus den Erörterungen über Art und
Stärke des Offenbarungs-, Erlösungs- und
Gültigkeitsanspruches, sondern aus dem Urteil über
die von ihm vertretene Sache lässt sich dann die
Gültigkeit des Christentums erweisen." (S. 127)
Der Altphilologe und Philosoph Wilhelm Nestle
(1865-1959)
beleuchtet in seinem 1947 erschienenen Werk Die Krisis des Christentums
die »Absolutheit« des Christentums von
verschiedenen Seiten. Aus einem Vorbericht zum "Kongress der
protestantischen Missionen in Jerusalem im Jahr 1928" folgert er:
"Damit ist der Grundsatz, von dem
die Mission ursprünglich ausging, dass das Christentum allein
die wahre, alle übrigen aber falsche Religionen seien,
tatsächlich aufgegeben und, während unsere Theologen
sich immer noch krampfhaft bemühen, die
»Absolutheit« des Christentums theoretisch zu
erweisen, ist diese Auffassung ebenso durch die Ergebnisse der
religionswissenschaftlichen Forschung wie durch die praktische
Erfahrung der Weltmission widerlegt. Wenn daher G. A. Gedat am Schlusse
seines Buches »Ein Christ erlebt die Probleme der
Welt« eingesteht, wenn er das Christentum für eine
Religion wie andere Religionen hielte, so könnte er ihm keine
günstige Prognose für seine Zukunft stellen, aber
meint, es sei überhaupt keine Religion, sondern »die
Offenbarung Gottes«, so ist das nichts weiter als eine
Verzweiflungsauskunft. Das Christentum wird sich eben bescheiden
müssen, seinen Platz nicht über, sondern neben den
anderen sog. Hochreligionen der Welt einzunehmen unter Anerkennung der
Grenzen, die seiner Ausbreitung durch die geistige Eigenart der
verschiedenen Rassen gezogen sind. […] Denn es gibt eben
überhaupt keine absolute Religion, so wenig es eine absolute
Sprache oder eine absolute Kunst gibt. Dagegen haben alle
Völker, wie die Anlage zur Sprache und den Trieb zur
Gestaltung von künstlerischen Gebilden, so auch den Drang,
religiöse Vorstellungen zu bilden, die aber, auch auf ihren
höchsten Stufen, immer nur unzulängliche, durch die
völkische Eigenart bedingte Versuche bleiben werden, das
Göttliche menschlicher Anschauung zugänglich zu
machen, und daher immer nur symbolische Bedeutung haben
können." (S. 21/22)
An anderer Stelle
beschäftigt Nestle sich mit der Tatsache, dass das Christentum
viele seiner religiösen "Anschauungen" aus anderen
(Mysterien-)Kulten der Spätantike übernommen hat.
Für ihn wird der fragwürdige Anspruch des
Christentums auf Exklusivität bzw.
»Absolutheit« dadurch ebenfalls
"erschüttert":
"Durch die Übernahme so
zahlreicher Anschauungen aus der religiösen Welt der Antike
wird der A n s p r u c h d e s C h r i s
t e n t u m s, d i e a b s o l u t e R e
l i g i o n z u s e i n, gewaltig
erschüttert. Denn an die Stelle einer
übernatürlichen Offenbarung sehen wir eine
natürliche geschichtliche Entwicklung treten. Und auch, wenn
man diesen Offenbarungscharakter, den auch der Protestantismus der
gesamten Bibel als »Heiliger Schrift« oder
»Wort Gottes« zuschreibt, auf das Evangelium Jesu
beschränken wollte, wie dies versucht worden ist, so hat die
historisch-kritische und religionswissenschaftliche Forschung auch dies
als unmöglich erwiesen." (S. 477)
Anmerkung
Der o. g. Gustav Adolf Gedat (1903-1971) war
offenbar ein Evangelikaler, der im Dritten Reich eine antisemitische
Position vertrat und später, als Mitglied der CDU-Fraktion,
viele Jahre dem Deutschen Bundestag angehörte.
Der Philosoph Karl
Jaspers (1883-1969)
schreibt in seinem Buch Der
philosophische Glaube:
"Ich verstehe nicht, wie man zum
Ausschließlichkeitsanspruch sich neutral verhalten kann. Das
wäre möglich, wo man die Intoleranz als faktisch
ungefährlich wie eine wunderliche Anomalie behandeln
dürfte. So ist es aber mit dem biblisch fundierten
Ausschließlichkeitsanspruch ganz und gar nicht. Er erstrebt
aus der Natur seines Wesens den Anspruch durch immer wieder
mächtige Institutionen und steht ständig auf dem
Sprunge, von neuem die Scheiterhaufen für Ketzer zu
entflammen. Das liegt in der Natur der Sache des
Ausschließlichkeitsanspruchs in allen Gestalten der
biblischen Religion, mögen auch noch so viele
Gläubige für ihre Person nicht die geringste Neigung
zur Gewalt, oder gar zur Vernichtung der in ihrem Sinn
Ungläubigen haben." (S. 86)
Der Theologe Paul
Tillich (1886-1965)
ist der Auffassung, "dass nach dem Ende der Absolutheit noch immer die
'Unbedingtheit' – das ist die Absolutheit unter den
Bedingungen der Relativität und Geschichtlichkeit –
möglich und gegeben sei." Anders ausgedrückt: "Die
Unbedingtheit ist die Absolutheit 'für mich'."
Anmerkung
Die Worte Tillichs fand ich bei Matthias Kröger (s. u.).
Der britische Autor und ehemalige kath.
Priester Peter de Rosa (*1932)
äußert sich in seinem Buch Der
Jesus-Mythos so:
"Ausschließlichkeitsansprüche
und Triumphalismus müssen in allen Religionen der Ehrfurcht
vor Gott, dem Unbekannten weichen, für die die jeweils eigene
Religion ein ehrwürdiger, mythologischer Ausdruck ist.
[…] Die Behauptung, meine Religion sei die beste, kann nur
bedeuten, dass meine Religion die beste für mich ist. Ich
liebe meine Religion, wie ich meine Frau und meine Kinder liebe: mehr
als alle anderen. In meiner Frau liebe ich alle Frauen; in meinen
Kindern liebe ich alle Kinder. Meine Frau muss nicht perfekt sein, um
für mich die beste der Welt zu sein."
Der Theologe Matthias
Kroeger
(*1935)
setzt sich in seinem Buch Der
fällige Ruck in den Köpfen der Kirche
u. a. auch mit dem Absolutheitsanspruch ktitisch auseinander. Er
schreibt von fälligen Veränderungen, "die sich
– mit guten theologischen Gründen und
paradigmatischer Kraft – aufdrängen." Dazu
gehört für ihn die "Kritik der altchristlichen und
bis heute meist festgehaltenen Behauptung, dass Jesus
»allein« der Weg zu Gott sei (»solus
Christus«), worin letztlich die Annahme der Absolutheit des
Christentums gründet."
Er ergänzt dies an anderer
Stelle:
"Diese
Ausschließlichkeit des christlichen Weges aber ist nicht mehr
wahr, ist nicht mehr zu halten, sie verkommt allmählich zur
theologischen Provinz, die wir zu überwinden haben."
Die amerikanische Theologin Rosmary Radford Ruether
(*1936)
sagt:
"Die Vorstellung, das Christentum
oder auch die biblischen Religionen hätten ein Monopol auf
religiöse Wahrheit, ist ein empörender und absurder
Chauvinismus. Es ist erstaunlich, dass selbst christliche Liberale und
Radikale es versäumen, diese Annahme zu hinterfragen. Meine
eigene Annahme ist, dass das göttliche Wesen, das die Welt
hervorbringt, aufrechterhält und erneuert, wahrhaft
allumfassend ist, Vater und Mutter aller Völker ohne
Diskriminierung. Dies bedeutet, dass wahre Offenbarung und wahre
Beziehung zum Göttlichen in allen Religionen zu finden ist."
Anmerkung
Das Ruether-Zitat fand ich bei Peter de Rosa (s. o.).
Der Theologe Klaus-Peter Jörns (*1939)
empfiehlt den Christen/den Kirchen in seinem Buch Notwendige Abschiede,
sich von einer Vielzahl tradierter (dogmatischer) Fehlhaltungen zu
verabschieden. Er hält diese Abschiede auf dem Weg zu einem
glaubwürdigen Christentum für unabdingbar. Er
schreibt u. a.:
"Für alle Zeit fertige
Wahrheiten bietet keine Religion. Dies hat sehr früh der
Vorsokratiker Xenophanes von Kolophon (570 - 474
v. Chr.) formuliert: »Die Götter haben Sterblichen
durchaus nicht von Anfang an alles enthüllt, sondern erst nach
und nach finden diese suchend das Bessere«. [...]
Wir werden lernen müssen, ohne die
narzistisch-abgründige Attraktion von
Erwählungsvorstellungen an Gott glauben und uns an seiner
unbedingten Liebe zu allen Geschöpfen genug sein zu lassen.
Durch sie kommen nicht nur wir, sondern auch die anderen, selbst die
Fremden und die anderen Religionen, zu ihrem Recht. Das
schließt ein, dass wir ihnen das Recht
darauf lassen, Wahrheit zu kennen, die ihnen hilft, zu leben und zu
sterben. Eine größere gibt es sowieso nicht und
– eine, die die Wahrheit wäre
und also darüber, auch nicht. Wir werden lernen, uns unsere
authentischen Wahrheiten zu erzählen."
Schlussbemerkungen
Ein selbstbewusstes Christentum, das
seine Gültigkeit »aus dem Urteil über die
von ihm vertretene Sache« (Troeltsch)
bezieht, wird keineswegs "in sich zusammenfallen", wenn es seinen
"Anspruch auf absolute Wahrheit" aufgibt.
Ich bin der festen
Überzeugung, dass gegenseitiger Respekt zwischen den
Religionen und die daraus erwachsende kritische Toleranz
Absolutheitsansprüche und Erwähltheitsfantasien
gänzlich ausschließen.
Ich wünsche mir, dass sich
zumindest das protestantisch geprägte Christentum von diesen
absurden Vorstellungen befreit und sich als Mitglied einer Familie
einzigartiger Religionen versteht, einzigartig für die
jeweiligen Gläubigen.
Ich stelle mir vor, dass das
Christentum, durch einen glaubwürdigen einseitigen Verzicht
auf den Absolutheitsanspruch, langfristig eine beispielgebende Wirkung
auf andere Religionen hätte. Die Glaubwürdigkeit
dieses Verzichts ließe sich durch Mahnmale für die Opfer
dieser verhängnisvollen Fehlhaltung – in allen
Kirchen – untermauern.
(s.
auch Warum
dieser Internetauftritt?)
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