|
|
||||||||||||||||||||||
Aktuelles, Nachgetragenes, Satirisches
Eine herausgerissene Seite aus DIE ZEIT, Nr. 45, vom 30. Oktober 2008 habe ich heute noch einmal gelesen. Unter der Überschrift "Der Müll des Reformators" befasst sich Kai Michel auf dieser Seite u. a. mit Ergebnissen archäologischer Ausgrabungen auf dem Grundstück der Familie Luder (erst der Sohn Martin schrieb seinen Namen mit »th«) in Mansfeld, wo Martin Luther (1483-1546) seine Kindheit verbrachte und am späteren Wohnsitz des Reformators in Wittenberg. Kai Michel zitiert eine typische, wohl mehrfach so oder ähnlich geäußerte, Behauptung Martin Luthers über seine Herkunft: »Ich bin der Sohn eines Bauern. Meine Vorfahren sind rechte Bauern gewesen. Danach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und dort ein Berghauer geworden«. Diese Behauptung wird schon durch die Analyse des auf dem elterlichen Grundstück gefundenen Mülls widerlegt. Bruchstücke von Haushaltsgegenständen und Accessoires von Kleidungsstücken sowie Hinweise auf Essgewohnheiten (Tierknochen etc.) der Familie Luder lassen vielmehr auf den Haushalt eines wohlhabenden Unternehmers schließen. Wenn man berücksichtigt, dass Hans Luder, der Vater des Reformators, in Mansfeld als Hüttenmeister Kupferminen sowie fünf Schmelzhütten betrieb und im Auftrag des Grafen von Mansfeld andere Hüttenmeister kontrollierte, kann dies auch kaum überraschen. Auch andere vermeintlich gesicherte Erkenntnisse über Leben und Handeln des Reformators sind wohl eher dem »Mythos Luther« zuzuschreiben als einer vertrauenswürdigen Überlieferung von Fakten aus dem Leben des Menschen Martin Luther. Bei Kai Michel liest sich das so:
Ähnliches gilt für das Bild, das wir uns vom vorreformatorischen Augustinermönch machen: Martin Luther war wohl kaum "der einsame Mönch, der sich selbst geißelnd in der Klosterzelle um einen gnädigen Gott sorgte." Vielmehr müssen wir ihn uns als kirchlichen Manager vorstellen, der als Distriktsvikar elf Klöster verwaltete und zudem Universitätslehrer und Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg war. Anmerkung
Auf dieser Web Site wimmelt es von Zitaten. Da ich weder Philologe noch Philosoph bin und daher nicht über das Wissen und über die Fertigkeiten der entsprechenden Disziplinen verfüge, zitiere ich Äußerungen sachkundiger Autoren, in denen die Kernpunkte der verschiedenen Teilaspekte des behandelten Themas präziser zum Ausdruck gebracht werden, als mir das mit eigenen Worten gelingen könnte. Natürlich sollen Zitate guter Gedanken, zumal von Autoritäten der berührten Fachgebiete, eine Wirkung erzielen, die eigene Worte kaum erzielen könnten. Dennoch geht es mir nicht um eine effekt- oder bedeutungsheischende "Zitatenhuberei", wie Kritiker die Verwendung von Zitaten manchmal bezeichnen. Ich denke, dass gute Zitate, neben ihrer themenbezogenen Wirkung, Leserinnen und Leser anregen können, durch weitergehende eigene Recherchen, mehr über die zitierten Autoren und ihr Gedankengut zu erfahren. Im Übrigen habe ich, anders als z. B. im Wissenschaftsbetrieb angeraten und üblich, an vielen Stellen sehr umfangreiche Textteile zitiert. Dies habe ich bewusst getan, da ich mich auch an Menschen wende, die weder über die Quellen verfügen, noch über die erforderliche Zeit, sie auszuwerten. Die Verwendung von Zitaten ist natürlich nicht ohne Risiko, zumal dann, wenn die Quellen nicht bekannt sind. Zwei Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung mögen dies verdeutlichen: Im Internet stieß ich vor einiger Zeit auf eine Zitatensammlung, die u. a. die folgende, Joachim Kahl (*1941) zugeschriebene, kritische Aussage über das Christentum enthielt:
Da jegliche Quellenangabe fehlte, vermutete ich, dass Joachim Kahl diese Kritik in seinem Buch Das Elend des Christentums geäußert haben könnte. Tatsächlich steht dort auf Seite 14 der zitierte Satz in folgendem Zusammenhang:
Es ist sehr verlockend, die kürzere und effektvollere Fassung der Kahlschen Kritik zu verwenden. Redlicher erscheint es mir in diesem Fall jedoch, sie zumindest zusammen mit der relativierenden Vorbemerkung zu zitieren. Ein weiteres Beispiel für die riskante Verwendung eines Zitats fand ich beim Theologen Matthias Kroeger (*1935). In seinem Buch Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche befasst er sich u. a. mit dem "Zusammenbruch des Theismus". Da verwundert es nicht, dass er ein, auf den ersten Blick, außerordentlich gut geeignetes Wort des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) zitiert:
In einer Anmerkung weist Kroeger auf die Quelle hin. Das Zitat entstammt der unter dem Titel Akt und Sein veröffentlichten Habilitationsschrift Dietrich Bonhoeffers von 1929. Ich habe mir dieses Buch beschafft und auf Seite 112 dann Folgendes nachlesen können:
Beim Lesen dieser theologisch-kryptischen Ausführungen war mein erster Impuls: Das verstehe wer will! Mir dämmerte dann jedoch, dass man in Bonhoeffers Gedanken wohl kaum eine radikale Theismus-kritische Haltung entdecken konnte. Es stellte sich Enttäuschung ein, denn die verblüffende Klarheit, des aus dem Zusammenhang gerissenen Halbsatzes, verflüchtigte sich umgehend. Später stieß ich dann bei Matthias Kroeger, versteckt in einer umfangreichen weiteren Anmerkung, auf eine relativierende Würdigung der Aussage Bonhoeffers. Darin heißt es u. a.: "Daher hat Bonhoeffer seinen bereits zitierten Satz »Einen Gott den 'es gibt', gibt es nicht«, so Theismus-kritisch, wie er heute klingen und sich entpuppen muss, noch nicht gemeint und entsprechend auch nicht durchgeführt. Auch er fährt nämlich – […] – fort: »Gott 'ist' im Personbezug, und das Sein ist sein Personsein«; auch bei ihm selbst blieb also jener fulminante Satz letztlich ohne weitere Konsequenz, […]: es bleibt das Gegenüber einer existierenden und handelnden Gottperson erhalten." Die Verwendung von Zitaten ist also manchmal ein Wagnis. Die Art und Weise ihrer Verwendung stimmt möglicherweise nur ungenau oder gar nicht mehr mit dem Denken und dem Verständnis des ursprünglichen Verfassers überein. Besteht nicht die Gefahr, dass Worte fremden Ursprungs im neuen Kontext eine Umwertung erfahren? Verlieren die verwendeten fremden Gedanken ihren Wert, ihre Gültigkeit, wenn sie im neuen Kontext entweder hinter ihren originären Anspruch zurückfallen oder, im Gegenteil, über ihn hinausgehen? Oder können sie im veränderten Zusammenhang ggf. einen ganz neuen Anspruch auf Relevanz erheben? Ich vermag die aufgeworfenen Fragen nicht abschließend zu beantworten. Da es in meiner verbleibenden Lebenszeit völlig ausgeschlossen ist, die hier behandelte Thematik, in ihrer ganzen Komplexität, in angemessener Tiefe zu durchdringen und in glaubwürdiger Weise mit eigenen Worten zu beschreiben, werde ich auch weiterhin aus fremdem Gedankengut schöpfen – nach bestem Wissen und Gewissen, im Bewusstsein des oben angedeuteten Risikos und in der Absicht, den zitierten Denkern weder Unrecht zu tun noch sie für meine eigene Position unangemessen zu vereinnahmen. Für den disziplinierten Umgang mit Zitaten finde ich hilfreich, sich immer wieder einmal mahnende Worte des englischen Staatstheoretikers und Philosophen Thomas Hobbes (1588-1679) zu vergegenwärtigen. Ich fand sie im Buch Der Glaube eines Ketzers des Philosophen Walter Kaufmann (1921-1980):
"Ein
gutes Zitat ist ein Diamant am Finger eines geistreichen Menschen und
ein
Pflasterstein in der Hand eines Narren." So
plausibel dieses Wort auf den ersten Blick erscheinen mag, kamen mir
doch
gewisse Zweifel: Stimmt
der Tagesspruch denn noch, wenn die
Urheber der zitierten Worte diese selbst
schon
bewusst als "Pflastersteine" benutzten und, wie ich meine, auch so
verstanden wissen wollten? Ich denke da z. B. an Worte der
kämpferischen Aufklärer
des 17. Und 18. Jahrhunderts, wie Jean Meslier, Voltaire, Denis Diderot
und
andere … Was
passiert, wenn ein "geistreicher Mensch" einen derartigen
"Pflasterstein"
als "gutes Zitat" benutzt? Mutiert er an seinem
Finger zum "Diamanten"? Oder macht er sich dabei
womöglich die Finger schmutzig? Was wird aus
einem "Pflasterstein" dieser Art "in der
Hand eines Narren"? Was könnte
auf der Bewertungsskala des
Joseph Roux
noch weiter unten folgen? Fragen über Fragen … Und
noch eines: Ich verhehle nicht, dass ich in der Bewusstseinslage, in
der ich
mich während der Erarbeitung dieser Website zeitweise befand,
in der Literatur aufgefundene
Sätze, – die
schon immer "Diamanten" waren und nicht erst den "Finger eines
geistreichen Menschen" brauchten, um solche zu werden –,
eher als
"Pflastersteine" verstand und sie auch als solche benutzte!
Unter der Überschrift Die Wahrheit unter der Erde – Jahrzehnte nach Francos Tod will ein Richter die Verbrechen des Diktators aufklären – Ein Mann sucht seine vier erschossenen Onkel wurden in meiner Tageszeitung von heute weitgehend verdrängte Ereignisse der jüngeren spanischen Geschichte beleuchtet. Während der Schreckensherrschaft Francos, von 1939 bis 1975, wurden etwa 150 000 Menschen ermordet. Verwandte von Opfern sowie Bürgerinitiativen versuchen nun die Orte zu finden, an denen die Ermordeten von ihren Mördern verscharrt worden sind. Jahrzehnte nach dem Tode Francos scheint in der spanischen Gesellschaft eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen seines Regimes in Gang zu kommen. Der bekannte Ermittlungsrichter Baltasar Garzón (*1955) hat die Öffnung von 19 Massengräbern angeordnet. Darunter ist auch ein Grab, das ein Mann, auf der Suche nach seinen vier im August 1936 erschossenen Onkel, nach langjährigen Recherchen aufgespürt hat. Dieser Mann wandte sich nach dem Auffinden der Grabstätte an den zuständigen Bürgermeister und an die Grundstücksbesitzerin, die katholische Kirche. Er bat um die Erlaubnis, das Grab zu öffnen. Weder der Bürgermeister noch das zuständige Erzbistum reagierten darauf. Dass Schweigen der Kirche ist nicht erstaunlich, stand sie doch in jener dunklen Epoche Spaniens an der Seite Francos. Dass die Kirche gegen Initiativen zur Aufarbeitung der Verbrechen des Franco-Regimes ist, brachte erst kürzlich Kardinal Antonio Maria Rouco Varela, oberster Repräsentant der katholischen Kirche in Spanien und somit Angehöriger der römischen Hierarchie, mit folgenden Worten zum Ausdruck: "Wir sollten die heutige Generation nicht mit den Problemen der vorigen belasten". Aus diesen Worten spricht eine nicht zu überbietende Ignoranz. Es ist dieselbe ignorante Haltung, die die römische Hierarchie seit jeher u. a. gegenüber den vielen Millionen unschuldiger Opfer der spanischen Kolonisation Mittel- und Südamerikas an den Tag gelegt hat. Unerschütterlich schweigt sie zu dieser Katastrophe, die Bartolomé de Las Casas (1484-1566) in seiner Schrift Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder so eindrücklich beschrieb. Sie schweigt insbesondere zu ihrer Rolle in diesem grausamen Geschehen. Die römische Hierarchie ist offenbar unfähig zu begreifen, dass nur durch eine umfassende Aufarbeitung der Verbrechen früherer Generationen und durch Entwicklung einer angemessenen Erinnerungskultur verhindert werden kann, dass sich solche Untaten in Zukunft wiederholen.
Der Tagesspruch in meiner Zeitung von heute stammt von Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799):
Lichtenbergs ironischer Gedankensplitter erinnerte mich an ein Wort von Hermann Hesse (1877-1962), auf das ich kürzlich gestoßen war:
Ich erlaube mir, das Wort von Hermann Hesse etwas umzuformulieren:
Bleibt die Frage, warum er es für wahr hält: Weil es seinem Wissensstand entspricht bzw. weil es ihm plausibel begründet erscheint, oder weil die Autorität des Geschichtenerzählers bei ihm keinerlei Skepsis aufkommen lässt?
Ich stieß während der Recherche zu einem bestimmten Thema auf Leserbriefe, die ich in 2006 geschrieben hatte. Darin werden Teilaspekte der auf dieser Website behandelten Thematik angesprochen. Sie beziehen sich auf Artikel in Publik-Forum und in der Evangelischen Sonntagszeitung (ESZ). Letztere wird herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
Leserbrief an ESZ vom 30. November 2006 Evangelische
Sonntags-Zeitung Nr. 49, S. 2: Sehr geehrte Damen und Herren, der bizarre Fall Berger hat wohl seinen (abschließenden?) Höhepunkt erreicht. Nach Beendigung seiner jahrzehntelangen wohl dotierten Lehrtätigkeit als evangelischer Theologe in Heidelberg, die ihm eine erstaunliche Karriere ermöglichte, bedankt sich Berger auf seine unnachahmliche Art mit dem Austritt oder richtiger: mit einem Fußtritt bei der evangelischen Kirche. Originalton Berger aus 2005: "Und wahr ist, dass ich ohne das Asyl in Heidelberg seit fast 40 Jahren arbeitslos wäre"(!?) Ohne die Professur im Rücken hätte er kaum seine Geltung "als einer der meist gelesenen theologischen Publizisten in Deutschland" erlangen können. Für mich ist Letzteres allerdings ein durchaus zweifelhaftes Prädikat. Seinen 700-seitigen Wälzer Jesus z. B. bewerte ich nicht nur als völlig überflüssig. Auf Seite 168 wird es geradezu peinlich, wenn Berger zu folgender Aussage kommt: "Das Verhältnis zu Gott (sprich: die Religion) existiert nicht unabhängig von den Größen Volk, Sexualität, Familie und Ehe. … Diese Felder haben »ihre Unschuld verloren«. Gott will hier verbindlich herrschen und bestimmen. Und eben deshalb darf eine mutige Kirche »in die Schlafzimmer hineinregieren«. Zu behaupten, diese Bereiche seien weiterhin autonom, wie gehabt, ist pures Heidentum." Es erscheint mir nahe liegend, von diesem gut katholischen Bergerschen Erguss auf die Qualität seiner Lehrtätigkeit zu schließen: Sollte er seinen Studenten denselben, aber steuerlich finanzierten, Unsinn erzählt haben, wäre die Streichung seiner Pension wohl das Mindeste … Mit freundlichen
Grüßen Anmerkung
Leserbrief an ESZ vom 26. September 2006 Evangelische Sonntags-Zeitung Nr.
39, S. 4: Sehr geehrte Damen und Herren, der hessen-nassauische Kirchenpräsident Peter Steinacker spricht im Zusammenhang mit dem Islam zum wiederholten Male vom "positionellen Pluralismus". Dieser (ursprünglich wohl vom Theologen Härle geprägte) aus der "Trickkiste" der Theologie stammende Begriff gesteht allen Groß-Religionen ihren "exklusiven Wahrheitsanspruch" bzw. ihren individuellen Absolutheitsanspruch zu. Für mich entbehrt der Sinngehalt dieses Begriffes jeder Logik. Er ist darüber hinaus schlicht enthüllend: Christliche Theologen billigen anderen Religionen sehr großzügig das zu, wovon sie sich auf gar keinen Fall verabschieden wollen. Damit leisten sie der auch unter Christen weit verbreiteten Intoleranz Vorschub. Was aber schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass diese Verweigerungshaltung gegenüber einer offenen und kritischen Überprüfung des eigenen und m. E. unhaltbaren Absolutheitsanspruchs den Weg zu einem glaubwürdigeren Christentum versperrt. Mit freundlichen
Grüßen Anmerkung
Leserbrief an Publik-Forum vom 06. August 2006 Publik-Forum Nr. 14, 2006, Seite
30ff Sehr geehrte Damen und Herren, es mutet schon ein wenig kurios an, wenn Theologen über die Wahrheit streiten. Ist doch hinlänglich bekannt, dass es in der christlichen Theologie spätestens seit dem Konzil von Nicäa (325) nicht um Wahrheit, sondern um Dogmen geht. Wer die Ergebnisse der historisch-kritischen Erforschung der Ursprünge und der Entwicklung des Christentums zur Kenntnis nimmt, weiß, dass Dogmen, die "Axiome" der Scheinwissenschaft Theologie, nichts anderes sind als Produkte menschlicher Fantasie. Ausgehend von den dennoch als "absolute Wahrheit" beschlossenen(!) und verkündeten Dogmen lässt sich vortrefflich fabulieren, was sich anhand der dickleibigen Dogmatiken diverser Theologen leicht feststellen lässt (über die umfangreiche Dogmatik Karl Barths hat der Theologe Eberhard Jüngel einmal geäußert: "So lang kann die Wahrheit gar nicht sein"). Wer etwas über die Wahrheit wissen möchte, der sollte daher besser z. B. Ingeborg Bachmann lesen (u. a. Ein Wildermuth). Wahrheit ist m. E. für die begrenzten Möglichkeiten menschlicher Erkenntnisfähigkeit ohnehin ein viel zu großes Wort. In menschlichen Maßstäben ist Wahrhaftigkeit etwas, worüber sich eher etwas sagen lässt. Ich könnte Steinacker grundsätzlich zustimmen, wenn er sagt: "Christliche Theologie lebt von der Verknüpfung des historischen Denkens mit dem systematischen Denken." Tatsache ist m. E. jedoch, dass wohl die meisten Theologen permanent gegen diesen guten Vorsatz verstoßen. Ist es Ausdruck von Wahrhaftigkeit, wenn Theologen zwar die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung kennen, sie jedoch verschweigen und damit die sog. Laien weiterhin in Unwissenheit halten? Jörns schlägt mit seinen "Notwendige(n) Abschieden" ein paar mutige, wenngleich nur sehr behutsame, Schritte in die richtige Richtung vor. Würden Theologen die von Steinacker propagierte Verknüpfung historischen und systematischen Denkens ernsthaft und konsequent anwenden, wären ausgreifende Schritte zu mehr Wahrhaftigkeit und damit zu mehr Glaubwürdigkeit des Christentums möglich. Dann wäre die christliche Religion in der Lage, m. E. beispielhaft auch für andere Religionen, sich von jeglichem Wahrheits- und Absolutheitsanspruch zu verabschieden und so dazu beizutragen, dem unheilvollen religiösen Fanatismus und/oder Fundamentalismus den Nährboden zu entziehen. Mit freundlichen
Grüßen Anmerkung
Leserbrief an ESZ vom 17. Juni 2006 Evangelische Sonntags-Zeitung Nr. 25 / 18. Juni 2006, Nachricht auf Seite 2: "Nicht-Katholiken sollen Papstprimat achten" Sehr geehrte Damen und Herren, mir scheint, dass Ratzinger, seitdem er auf dem Papstthron sitzt, uns jedes Jahr mit mindestens einem verspäteten Aprilscherz beglücken will: In 2005 war es der Ablass für alle Teilnehmer am Weltjugendtag in Köln, in 2006 ist es nun der Aufruf zur Anerkennung des Papstprimats an alle Brüder (Schwestern gibt es für Ratzinger natürlich nicht), die noch nicht zur römischen Konfession gefunden haben. Ratzinger verbreitet unverdrossen die Petrus-Legende (s. hierzu Uta Ranke-Heinemann in Nein und Amen) und "betet dafür, dass der Papstprimat auch von den Brüdern anerkannt wird, die sich noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns befinden"…. – In der Christenheit haben die Päpste schon immer besonders hartnäckig Produkte menschlicher Fantasie und/oder eigenes Wunschdenken als göttliche Wahrheiten verkauft. Da wundert einen gar nichts mehr. Ich schlage vor, dass Sie künftige Ergüsse Ratzingers in der Rubrik "Vorsicht (Real-)Satire" bringen. Mit freundlichen
Grüßen Der vollständige Text der Nachricht in der ESZ lautete: Nicht-Katholiken
sollen Papstprimat achten Anmerkung
Mir fiel erst vor wenigen Tagen eine Seite aus der FAZ vom 21. Februar 2008 in die Hand. Sie enthält einen Beitrag des Münchener Theologen Friedrich Wilhelm Graf (*1948). Unter dem Titel "Tumult im Theotop: Akademische Theologie in der Krise" setzt er sich kritisch mit der Situation und der Zukunftsperspektive der Theologischen Fakultäten an den deutschen Universitäten auseinander. Er stellt – für einen Theologen – u. a. so erstaunliche, wenngleich, aus meiner Sicht, nahe liegende, Fragen wie "Wozu noch akademische Theologie, wenn die Kirchen erodieren?" oder "Ist Theologie überhaupt eine veritable Wissenschaft?" Ich finde seinen Beitrag umso bemerkenswerter, als er kaum im Verdacht steht, fanatischer Kirchen- oder gar Christentums-Kritiker zu sein. Nach Friedrich W. Grafs Beurteilung ist "die Lage der akademischen Theologien in Deutschlands Universitäten […] prekär geworden". Dies wird durch seinen Hinweis bekräftigt, dass sich inzwischen "der Wissenschaftsrat des Problems angenommen" habe: "Eine Arbeitsgruppe »Theologie und Religionswissenschaft an deutschen Hochschulen« soll den Status der Theologie in den Hochschulen bedenken". Neben dem "tiefgreifenden Umbau des Wissenschaftssystems" beschreibt Graf vor allem inneruniversitäre und innerkirchliche Ursachen für die Krise der akademischen Theologie. Zwischen den letztgenannten gibt es zweifelsohne ungute Wechselwirkungen. Graf stellt fest, dass "manche Universitäten kein Wissenschaftsinteresse an Theologischen Fakultäten mehr haben". Aus einer entsprechenden Fragestellung Grafs an anderer Stelle ergibt sich ein Grund für dieses Desinteresse wohl aus der Tatsache, dass "die in Universitäten institutionalisierte wissenschaftliche Öffentlichkeit am christlichen Glauben keinerlei konstruktives Interesse mehr hat". Darüber hinaus leiden die Theologischen Fakultäten einerseits an der durch "kirchliche Übergriffe" bzw. durch "klerikalen Machtmissbrauch" verursachten Beschränkung ihrer Eigenständigkeit, auf der anderen Seite an "Wahrnehmungsresistenz und mangelnder Reformbereitschaft" der betroffenen Hochschullehrer. Nach Grafs Einschätzung "sind Deutschlands Hochschultheologen eher forschungsfaule Wissenschaftler" und er fährt fort: "Viele Gottesgelehrte haben sich aus kulturwissenschaftlichen Diskursen zurückgezogen und in ihrem staatskirchenrechtlich geschützten Theotop behaglich eingerichtet". Graf bescheinigt "beiden großen Kirchen viel Antiintellektualismus und Wissenschaftsfeindschaft". In ihnen seien weder "selbstbewusste Gelehrte" noch "kritische Glaubensintellektuelle" geschätzt. Aus Grafs weiteren Beobachtungen lässt sich schließen, dass die Kirchen als Arbeitgeber für die intelligenteren Nachwuchstheologen nicht mehr attraktiv sind. Sie wandern in die Wirtschaft ab, weil in den Kirchen "über Karrieren weniger nach Kriterien von Kompetenz und Leistung, sondern primär im kirchenpolitischen Stellungskrieg und klerikalen Dschungelkampf entschieden wird". Graf benennt auch sehr klar die Konsequenzen: "Den Kirchen bleiben die weniger Denkfleißigen und leider auch nicht wenige Glaubensenge, die mit erschreckender Divinalarroganz auf ihre weniger gewissheitsstolzen Kommilitonen herabblicken". Nach Grafs eindrücklicher Problemanzeige ruft eine weitere Feststellung kaum noch Verwunderung hervor: "Relevante Kräfte in den Kirchen geben sogenannter Spiritualität den Vorrang vor gebildeter Reflexionskraft und wollen den Pfarrernachwuchs lieber in eigenen Klerikalseminaren oder Kirchlichen Hochschulen ausgebildet sehen". Durch Grafs Beitrag sehe ich einige meiner Überlegungen im Menüpunkt Anmerkungen zur Theologie bestätigt: Die (akademische) Theologie ist m. E. keine "veritable Wissenschaft", und sie fristet ihr Dasein offensichtlich in einem selbstgewählten innovationsfeindlichen Denk-Getto. Wenn die Beobachtungen Grafs zutreffen, und der Wissenschaftsrat zu denselben Einsichten gelangte, dann müsste dessen Abschlussbericht nahezu zwingend dazu führen, dass die Bundesregierung eine entsprechende Gesetzesinitiative in Auftrag gibt mit der klaren Zielsetzung, die bestehenden "Konkordate und Kirchenverträge" zu kündigen. Damit würde sich der Staat aus der Theologenausbildung völlig zurückziehen und "relevante Kräfte in den Kirchen" bekämen, was sie sich wünschen, nämlich "den Pfarrernachwuchs in eigenen Klerikalseminaren oder Kirchlichen Hochschulen" ausbilden zu können. Allerdings würde danach niemand mehr verstehen, wenn der Staat bzw. die Gesellschaft auch weiterhin die Finanzierung übernähmen! Ich halte es für zwingend erforderlich, das von Graf beschriebene "staatskirchenrechtlich geschützte Theotop" nachhaltig trockenzulegen. Das setzt allerdings voraus, dass die bisher völlig unzureichende Trennung von Staat und Kirche(n) in Deutschland endlich rechtlich effektiv vollzogen wird. Anmerkung
Der Tagesspruch in meiner Zeitung von heute stammt von Mahatma Gandhi (1869-1948):
Mahatma Gandhi mag bei dieser Feststellung vor allem an die gewalttätigen Erscheinungsformen von Imperialismus und Kolonialismus gedacht haben. Wahrscheinlich hatte er aber auch vergleichbare Ausprägungen religiöser Systeme vor Augen. Jedenfalls genügt schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte des organisierten Christentums, um die Gültigkeit der von Gandhi formulierten Erkenntnis auch für diesen Bereich menschlichen Tuns bestätigt zu finden.
In Sachen Prunk und Protz lässt sich die römische Konfession, nach eigenem Selbstverständnis die Una Sancta, von niemandem übertreffen. Dies hat sie gestern, am 02. Februar 2008, bei der Thronbesteigung von Bischof Reinhard Marx (*1953) als neuer Oberhirte des Erzbistums München und Freising, im Münchner Liebfrauendom erneut eindrücklich demonstriert. Einmal mehr bewies sie dabei ein bemerkenswert feines Gespür für das richtige Timing: Nahtlos fügte sich dieses Treffen der erzbistümlichen Herrenriege in die bunte Reihe der landauf landab veranstalteten Prunksitzungen ein. Während der aktuellen Session erreichte diese besondere Spielart geselligen Beisammenseins zweifelsohne in München ihren Höhepunkt. Die virtuose Inszenierung, äußerlich ein Kaleidoskop der Farben und Kostüme, überzeugte inhaltlich durch zwerchfellerschütternde Komik und durch ganz eigene realsatirische Akzente. Sie stellte selbst eine so erfolgreiche Konkurrenzveranstaltung wie Neues aus der Anstalt weit in den Schatten. Der neue Erzbischof von München und Freising hat auch einen Wahlspruch. Ich fand ihn hier. Er lautet "Ubi spiritus Domini ibi libertas: Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit". Dieser Spruch ist einem der als echt geltenden Paulusbriefe entnommen, dem 2. Brief an die Korinther (2 Kor 3,17). Ich war zunächst verblüfft, denn nahezu jeder weiß oder könnte es jedenfalls wissen, dass die römische Hierarchie ein durch und durch totalitäres System etabliert hat und mit allen Mitteln aufrechterhält. Mit Freiheit hat dieses System nun wirklich nichts zu tun. Hat Reinhard Marx mit seiner Entscheidung für diesen Wahlspruch vielleicht besonderen Mut bewiesen? Einmal angenommen, dass Wahrhaftigkeit und intellektuelle Redlichkeit für ihn einen hohen Stellenwert besitzen, dann weiß er natürlich, dass der Geist des Herrn, bei Abwesenheit von Freiheit im real existierenden System, die erhoffte Wirkung noch nicht erzielt hat. Aus dieser Sicht kann sein Wahlspruch also nur als scharfe Kritik an diesem System verstanden werden. Hätte das System dann nicht längst, in gewohnter Weise, mit seinen vielfach erprobten Sanktionen reagieren müssen? Weniger wohlwollend betrachtet, könnte man aber auch auf einen anderen Verdacht kommen: Da sich Marx schon in 1996 in Paderborn für seinen Wahlspruch entschieden hatte und nun sogar befördert wurde, hat das System entweder bisher nichts gemerkt oder Marx hat, mit dem Segen des Systems, eine raffinierte Marketingidee umgesetzt. Es zahlt sich ja allemal aus, ein positives Image zu haben, auch wenn dieses mit der traurigen Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die bisherigen Überlegungen gingen stillschweigend davon aus, dass Paulus mit seiner These Recht hatte, nur der Geist des Herrn könne Freiheit bewirken. Da heute, fast 2000 Jahre nach Paulus, redlicherweise niemand so genau sagen kann, wer oder was der Geist des Herrn ist, lässt sich die paulinische These weder bestätigen noch widerlegen. Es lässt sich allenfalls lapidar feststellen: Freiheit ist im Bereich der römischen Konfession ein knappes Gut. Und gleichzeitig drängt sich die Frage auf: Warum ist Freiheit dort – nur dort? – Mangelware? Vielleicht helfen ein paar Gedanken Albert Schweitzers (1875-1965) bei der Suche nach einer plausiblen Antwort. Im Epilog seines Buches Aus meinem Leben und Denken schreibt er:
Ich entdeckte kürzlich ein kleines Buch mit dem Titel Wege zur Befreiung – Über die Kunst des Lebens. Es enthält eine Auswahl von Zitaten aus wichtigen Werken Erich Fromms (1900-1980). Das folgende Zitat stammt aus seinem Buch Ihr werdet sein wie Gott. Er formuliert darin eine plausible These zur Entstehung verschiedener religiöser Systeme und zu deren kultureller Bedingtheit. Im letzten Satz dieses Zitats glaube ich eine gewisse Bestätigung dessen vorzufinden, was mir am 30. August 2007 zur "Größe" meiner Religion in den Sinn kam.
Das Christentum basiert auf der in Palästina entstandenen jüdischen Religion mit ihrem monotheistischen Gottesverständnis. Es übernahm m. E. schon «Zusätze» jener Religion und seine Vordenker bzw. Theologen taten dann ein Übriges: Man denke nur an die Überlieferung sowie die jeweils zeitbedingten Auslegungen der sog. Heiligen Schrift(en) des Neuen Testaments mit all ihren Ungereimtheiten und Widersprüchen oder an die in Dogmen "gegossenen" Glaubensmeinungen des frühen Christentums. Letztere erwiesen sich u. a. für die Theologen aller Epochen bis auf den heutigen Tag als unerschöpflicher Quell immer neuer Interpretationen und Ausschmückungen. Wichtige oder auch weniger wichtige Theologen der letzten 1600 Jahre produzierten so, mit ungezügelter Fantasie, eine gigantische Fülle jener "fiktiven «Zusätze»", von denen Erich Fromm sprach. – Zwei Bilder drängen sich mir erneut auf: der Turmbau zu Babel und das labyrinthische Denk-Getto der Theologen (s. auch Anmerkungen zur Theologie).
In der neuesten Ausgabe von Publik-Forum, Nr. 24 ∙ 2007, bin ich auf Seite 80 über das Buch des Monats gestolpert … Ich schätze Publik-Forum, weil ich keine andere mit dem Schwerpunkt Religions-, Christentums-, Theologie- und Kirchen- bezogener Themen befasste Publikation kenne, die ein breiteres Meinungsspektrum zeigt. Eine positive Begleiterscheinung dieser besonderen Ausprägung ist für mich die Anregung zu kritischer Auseinandersetzung mit den transportierten Inhalten. Das Buch des Monats trägt den Titel Jesus war nie in Bethlehem. Sein Autor ist Martin Koschorke. Der Rezensent weist u. a. darauf hin, dass es für viele Gläubige schwer auszuhalten sei, "dass die im Neuen Testament geschilderten Gegebenheiten keine historischen Fakten sind, sondern eine Dienstfunktion haben: die einmalige Besonderheit Jesu herauszustellen, …" Weiter unten folgen dann Sätze wie:
Ich habe das Buch nicht gelesen, das ist für mich in diesem Zusammenhang auch "völlig unwichtig", genauso unwichtig wie die Marginalie Bethlehem als vermeintlicher Geburtsort Jesu. Unterstellt, dass der Rezensent das Anliegen des Buches bzw. des Autors richtig beschreibt, interessiert mich ausschließlich die in obigen Zitaten vorgefundene typische Argumentation. Es ist die altbekannte gedankliche Hilfskonstruktion der Theologen, denen, angesichts der Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese, bisher nichts Besseres eingefallen ist. Dass Autor und/oder Rezensent diese Argumentation ganz und gar unreflektiert übernehmen, ist ebenso bedauerlich wie die Tatsache, dass sie die bewusste Manipulation in den überlieferten Texten – "Auch die Evangelisten haben … eigene Überlegungen genutzt, …, um Jesus in den Augen der Juden, …, einzigartig und göttlich(!) erscheinen zu lassen" – offensichtlich als etwas ganz Normales betrachten. Damit beugen sie sich der mittlerweile fast 2000jährigen christlichen Tradition fortgesetzter Manipulation. Wahrhaftigkeit und intellektuelle Redlichkeit bleiben auf der Strecke. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man sich vor Augen führt, welche (dogmatischen) Konsequenzen die manipulative Überhöhung der Person Jesu hatte – und zwar bis heute. Aufgrund der totalen Vernachlässigung historischer Fakten bei der Erstellung und Überlieferung der Schriften des Neuen Testaments haben wir heute keine Möglichkeit mehr, uns ein verlässliches Bild von dem Menschen Jesus zu machen. Das gilt analog insbesondere auch für die ihm in den Mund gelegten Worte und Gleichnisse. Stattdessen ist etwas geschehen, was für Juden, sicher auch für den Juden Jesus, undenkbar war: Aus dem Menschen Jesus wurde, nach allen Regeln spätantik-hellenistischen "Götter-Designs", der Gott Christus, ausgestattet mit Eigenschaften und biografischen Details, die schlicht von älteren, damals ebenfalls verehrten Göttern, wie z. B. Mithras oder Asklepios übernommen wurden. Die Methode der zitierten Evangelisten, sowie ihrer späteren Abschreiber und Nacherzähler einerseits und der frühkirchlichen Dogmatiker andererseits, ist der aus Kriminalromanen oder Agententhrillern bekannten Vorgehensweise von Polizei oder Geheimdiensten, ihren Agenten eine maßgeschneiderte "Legende" zuzuordnen, nicht ganz unähnlich. Das Grundmuster ist weitgehend dasselbe: Man erfindet eine detaillierte Biografie (Geburtstag, Herkunft, Werdegang etc.), gibt vor, sie sei echt und scheut keine Mühe, sie durch gefälschte Dokumente plausibel zu belegen. Bezogen auf Jesus wurde irgendwann nach seinem Tode die kühne Behauptung aufgestellt, er sei der »Messias« bzw. »Christus«, der »Sohn Gottes«. Und diese Behauptung wurde dann, mit allen der menschlichen Fantasie zu Gebote stehenden Mitteln, untermauert. Das Ergebnis ist bekannt. In einem Punkt unterscheiden sich Geheimdienstagenten und »Christus« allerdings: Agenten sind nicht dagegen gefeit, in entsprechend nachdrücklich geführten Befragungen, einmal von ihrer "Legende" abzuweichen und sich damit ein für alle Mal zu enttarnen. »Christus« kann das nicht passieren … Welche Leser, die "bald verstehen, dass …", sind denn eigentlich gemeint? Mir scheint, dass Autor und/oder Rezensent etwa der (Leser-)Einschätzung des Theologen Paul Tillich (1886-1965)folgen, der es als völlig gerechtfertigt ansah, das Gewissen der Gläubigen zu beschwichtigen, solange »das kritische Bewusstsein unentwickelt oder die natürliche Leichtgläubigkeit ungebrochen ist« (s. auch hier). Paulus (?-nach 60) traf zu seiner Zeit vermutlich überwiegend auf Hörer und Leser, deren »kritisches Bewusstsein unentwickelt und deren Leichtgläubigkeit ungebrochen« war. Er musste wohl kaum mit kritischen Nachfragen rechnen. Unter diesen Randbedingungen konnte er ungehindert, um nicht zu sagen: ungeniert, sein ganz persönliches "Evangelium" entwickeln und verbreiten. Autor und/oder Rezensent beschreiben daher völlig richtig, dass Paulus am historischen Jesus keinerlei Interesse hatte. Sie fahren fort: "Paulus war nur an der existenziellen und religiösen Wahrheit interessiert." Autor und/oder Rezensent erläutern diese zweifelhaften Begriffe nicht. Ich bin überzeugt davon, "religiöse Wahrheit" oder die oft synonym verwendete Glaubenswahrheit sind ein Widerspruch in sich. Mit Wahrheit haben diese Begriffe nichts zu tun und diejenigen, die sie dennoch so verwenden als ob, haben mit Wahrhaftigkeit nichts zu tun. Allenfalls lässt sich von religiöser Meinung oder synonym von Glaubensmeinung sprechen, also von weitestgehend individuell gefärbten oder von Meinungsführern beeinflussten Vorstellungen. Paulus ging dann so weit, seine persönliche Glaubensmeinung als das »Evangelium Christi« zu verkündigen. Im Galaterbrief, einem der sieben als echt geltenden Paulusbriefe (Anm.: älteste Schriften im Neuen Testament), kann man anhand einiger Verse diese beispielgebende Handlungsweise unschwer nachvollziehen. In Galater 1, 6-9 steht:
Die Art und Weise, in der Paulus hier seine religiöse Meinung vertritt, erscheint mir nicht nur als fanatisch, aggressiv und unglaublich anmaßend, sondern als Ausdruck religiösen Wahns. Letzterer kommt selbstverständlich ganz ohne historische Fakten aus. Schon in diesem frühen
Stadium christlicher Überlieferung deutet sich ein,
für das Christentum charakteristisches, Phänomen an:
die Verwandlung von Glaubensmeinungen in Glaubenswahrheiten
und schließlich in göttliche Wahrheiten
– die klassischen Macht- und Disziplinierungsmittel der
Kirchen.
Der Eintrag mit der Überschrift "Zwischenbilanz" vom 16. August 2007 auf dieser Seite endet mit dem Satz "Die inhaltliche Weiterentwicklung dieser Website ist derzeit völlig offen." Diese Aussage bezog sich auf die damals noch unbearbeiteten Menüpunkte
In den zurückliegenden Monaten reifte mein Entschluss, die Arbeit an diesen noch offenen Themen der Website fortzusetzen. Dabei habe ich nicht die Absicht den Kirchenhistorikern und Theologen ebenso wenig wie den bekannten Christentums- und Kirchenkritikern Konkurrenz zu machen, weder in der Tiefe noch im Umfang der Darstellung. Da ich nicht auf Ergebnisse eigener Forschungsarbeiten zurückgreifen kann, benutze ich die mir in begrenztem Umfang vorliegende einschlägige Literatur. Ich sehe diese Website als "Collage" aus Anmerkungen, Gedankensplittern und Zitaten ohne jeglichen wissenschaftlichen Anspruch. Es geht mir darum, die begonnene "Collage" zu ergänzen. Ich bin mir dessen bewusst, dass es sich dabei um eine ganz subjektive Einschätzung und Auswahl von "Auffälligkeiten" in Theologie und Geschichte des organisierten Christentums handelt. Meine Motivation wird einerseits gespeist von dem Wunsch nach der Vertiefung des eigenen Wissens, andererseits von meinem Interesse an Kontakten zu Gleichgesinnten. Das Ziel könnte sein, gemeinsam einen Beitrag zur Aufklärung der Menschen über die Geschichte des Christentums und über seine, aus heutiger Sicht, kritikwürdigen Glaubensinhalte zu leisten. Im Idealfall könnte dies den einen oder anderen zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Christentum und seinen Kirchen anregen. Anmerkung
Beim Blättern in meinen gesammelten Zeitungsartikeln habe ich heute einen Beitrag des Schweizer Philosophen Peter Bieri (*1944) im ZEITmagazin Leben 32/07 etwas genauer angeschaut. In seiner Kolumne WIE WOLLEN WIR LEBEN? hat er sich unter dem Titel Wie wäre es, gebildet zu sein? mit grundsätzlichen Fragen der eigentlichen Bildung befasst. – Er weist wohl zu Recht darauf hin, dass heute zwar häufig von Bildung geredet werde, jedoch in Wirklichkeit Ausbildung gemeint sei. Beim erneuten Lesen fiel mir nun besonders ins Auge, was Peter Bieri über den Zusammenhang zwischen Bildung und der "Vorstellung der Absolutheit" sagt:
Anmerkung Der Gedanke, "Bildung bricht mit der Vorstellung der Absolutheit und ist deshalb subversiv und gefährlich, was Weltanschauung und Ideologie angeht", macht für mich sehr plausibel, warum es immer noch Theologen gibt, die davor zurückschrecken, die Absolutheit bzw. den Absolutheitsanspruch des Christentums aufzugeben. Ich denke hier ausschließlich an protestantische Theologen, auch an solche, die Führungspositionen deutscher Landeskirchen innehaben. Für Theologen der römischen Konfession gehen die Uhren anders: Bevor sie es wagen könnten, die Absolutheit des Christentums in Frage zu stellen, müssten sie sich m. E. wohl sehr intensiv mit den faktischen Absolutheitsansprüchen ihrer Kirche und des Papsttums befassen, um diese zuerst zu überwinden. Übrigens stellte ich fest, dass der Theologe Ernst Troeltsch (1865-1923), schon vor über hundert Jahren, ganz ähnliche Gedanken äußerte wie Peter Bieri, als er davon sprach, dass die Absolutheit ein allgemeines Merkmal des naiven Denkens sei und erst mit ihrer Brechung das eigentliche Denken eröffnet werde (s. hier).
Ratzinger definierte in dieser Erklärung die "Heilsexklusivität Christi" und leitete daraus ganz unverfroren den Absolutheitsanspruch seiner römischen Kirche gegenüber allen anderen Religionen und Konfessionen ab. In einem Absatz seines Buches mit der Überschrift Absolut und unberührbar äußert Häring:
Häring bescheinigt Ratzinger, dass dieser kaum noch Argumenten zugänglich sei, "die eine Diskussion auf gleicher Augenhöhe zulassen", und er ergänzt:
Anmerkung Aus Dominus Iesus spricht m. E. jemand, der nicht nur an dogmatischer Verblendung leidet, sondern ganz offensichtlich schon vor der Erhebung zum "Stellvertreter" vom Unfehlbarkeits-Virus befallen war. Es ist schlicht nicht zu fassen, dass sich Ratzingers "Schäfchen" noch im 21. Jahrhundert Belehrungen dieser irrationalen Art ohne Murren gefallen lassen.
Ich hatte mir während der Lektüre des Romans Nachtzug nach Lissabon von Pascal Mercier vor einigen Monaten ein paar Zitate notiert. Bei der Durchsicht der Notizen auf meinem Computer fiel mir auf, dass sich eines davon, leicht abgewandelt, analog auf mein Verhältnis zu Christentum und Kirche bzw. auf meinen früheren Bewusstseinszustand beziehen lässt:
Es ist wohl nicht ganz abwegig anzunehmen, dass sich viele Christen in einer ganz ähnlichen Situation befanden oder noch befinden. Ich wage zu behaupten, dass es sich dabei vornehmlich um die besonders kirchennahen Christen handelt. Anmerkung
Eine knappe Aussage, die er zwar in etwas anderem Zusammenhang trifft, lässt sich mühelos als Kritik an der Theologie bzw. den Theologen verstehen: "Gewiss, wir wissen zu viel, zu viel insbesondere von Dingen, von denen wir nichts wissen können, [...]." Andere Selbstbekenntnisse sind nur zu verstehen, wenn man weiß, wie Franz Overbeck seinen Weg vom Christentum zu einem "gründlichen Unglauben" fand. Er stellt fest, dass "meine 27jährige Professur der Theologie in Basel" und die Beschäftigung mit dem "Christentum als Problem" keinem anderen Zweck diente, als "zu meiner gründlichen Befreiung davon." Hier einige Beispiele, die keines weiteren Kommentars bedürfen:
Wie wohltuend hebt sich diese vom römischen Philosophen und Schriftsteller Seneca (1? - 65) formulierte Erkenntnis von der gängigen christlichen Auffassung ab! Paulus (? - nach 60) leitete die noch heute gültige christliche Glaubensmeinung über das Sterben bzw. den Tod vor fast zweitausend Jahren aus den, zu seiner Zeit schon sehr alten, in der hebräischen Bibel überlieferten, mythischen Erzählungen über das »Paradies« und den »Sündenfall« ab:
Im Brief an die Römer brachte Paulus dann seine, aus den archaischen Erzählungen gewonnenen, Einsichten auf die einfache Formel:
Und diese ist leider bis heute fester Bestandteil christlichen, insbesondere theologischen Denkens geblieben. Wenn man sich bewusst macht, dass Seneca ein Zeitgenosse von Paulus war, dann wird einmal mehr erschreckend deutlich, wie weit das frühe Christentum hinter dem Wissens- und Erkenntnisstand seiner "heidnischen" Umwelt zurückblieb!
Vielleicht ist die "Größe" meiner Religion aber auch vergleichbar mit der auf ein gigantisches Volumen angewachsenen Abraumhalde eines Bergwerks, in dem, nach anfänglichen Erfolgen, die ergiebigen Gesteinsformationen zwar schon seit langem erschöpft sind, in dem aber dennoch, ohne jede unternehmerische Vision und bar jeglichen ökonomischen Sachverstands, verbissen weiter gegraben wird, anstatt die Geologen ausschwärmen zu lassen, um neue Fundstätten der begehrten Bodenschätze ausfindig zu machen. Ist womöglich das Wissen um das ursprüngliche Ziel der Unternehmung innerhalb der Bergwerksgesellschaft verloren gegangen? Oder verweigerte ihr die oberste Genehmigungsbehörde mittlerweile – wegen erwiesener Inkompetenz und Untreue des Führungspersonals – weitergehende Schürfrechte? Anmerkung
Joachim Kahl betont, dass man keineswegs die Begriffsgeschichte des "Absoluten" studiert haben müsse, es genüge schon, sich die ursprüngliche Wortbedeutung näher anzuschauen. Er schreibt:
Er weist darauf hin, dass sich etwa seit dem 18. Jahrhundert hierfür auch die deutsche Übersetzung "das Unbedingte" eingebürgert habe. Letzteres bringt zum Ausdruck, dass die Gültigkeit des "Absoluten" keinerlei Rahmen-, Haupt- oder Nebenbedingungen bedarf, sondern unmittelbar einsichtig ist. Anmerkung Joachim Kahl setzt seine Überlegungen dann mit folgenden überzeugenden Argumenten fort:
Auf diesem Hintergrund ergibt sich für mich das entscheidende Argument gegen die Rechtfertigung eines wie auch immer gearteten Absolutheitsanspruchs, etwa der einer Religion, einer Ideologie, einer Institution oder gar einer Person, aus der paradoxen Kombination von Absolutheit und Anspruch. Anhand eines konkreten Beispiels wird dies noch deutlicher: Die absolute Wahrheit "alle Lebewesen müssen sterben" bedarf weder der Interpretation fantasiebegabter Theologen noch vergleichbar talentierter Philosophen, um als solche erkannt zu werden. (s. auch Noch ein Nachtrag zum Absolutheitsanspruch)
Bald danach begann ich die Ergebnisse meiner Recherchen niederzuschreiben. Und vor etwa einem Jahr entwickelte sich dann der Gedanke, diese in einer eigenen Website zusammenzufassen und, zu einem noch nicht bekannten Zeitpunkt, evtl. auch zu veröffentlichen. Im Juni d. J. erreichte die Struktur der Website ihre (vorläufige) stabile Form und, neben den eher strukturellen Bestandteilen des Kopfmenüs, befanden sich von den sieben inhaltlichen Themen des Hauptmenüs immerhin drei in einem fortgeschrittenen Bearbeitungszustand: Warum dieser Internet-Auftritt?, Absolutheitsanspruch und Anmerkungen zur Theologie. Es ist leicht zu erkennen, dass ich als Nicht-Theologe zunächst die weniger sperrigen Themen anpackte. Zu den noch weitgehend unbearbeiteten Themen gab es zumindest eine Stichwort- und Zitatensammlung. Ende Juni fiel mir DER SPIEGEL vom 26.05.2007 in die Hand. Er trägt den Titel "»GOTT IST AN ALLEM SCHULD!« Der Kreuzzug der neuen Atheisten" Ich stieß darin u. a. auf den französischen Philosophen Michel Onfray (*1959) und den deutschen Philosophen und Schriftsteller Michael Schmidt-Salomon (*1967), der auch Geschäftsführer der Giordano-Bruno-Stiftung ist. Mittlerweile habe ich deren neuere Bücher gelesen: Michel Onfray, Wir brauchen keinen Gott – Warum man jetzt Atheist sein muss und Michael-Schmidt-Salomon, Manifest des evolutionären Humanismus – Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. Weitere Recherchen führten mich zum neuen Buch des (ehemaligen) Theologen und Philosophen Joachim Kahl (*1941): Weltlicher Humanismus – Eine Philosophie für unsere Zeit. Joachim Kahl veröffentlichte in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts sein viel beachtetes Buch Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott. Sein aktuelles Buch wird mich noch einige Zeit beschäftigen. Die Arbeit an den offenen inhaltlichen Themen des Hauptmenüs ist durch die eben benannten Aktivitäten ins Stocken geraten. Das hat insbesondere auch damit zu tun, dass ich ursprünglich zwar von der nicht zu übersehenden Reformbedürftigkeit und, sehr blauäugig, auch von der Reformfähigkeit des Christentums bzw. seiner Kirchen ausging, jedoch stets unter der Prämisse, dass das Christentum erhaltenswert sei. Das Ergebnis einer vorläufigen Zwischenbilanz nach der aktuellen Lektüre erzwingt nunmehr die Beschäftigung mit weitergehenden Fragen:
Die inhaltliche Weiterentwicklung dieser Website ist derzeit völlig offen. Anmerkung |
|||||||||||||||||||||||